Außer diesem schönen Beginn ging es für uns noch nach Delphi, Patras und ganz entspannt an den Strand. Von der antiken und archäologischen Stätte Delphi, die in der Antike als Mittelpunkt der Welt galten und dessen Ausgrabungen zum UNESCO Weltkulturerbe gehören, sind wir etwas enttäuscht. Die Anlage liegt spektakulär in den Hügeln, sind aber leider nicht mit dem Rollstuhl zu besichtigen. Immerhin ist das Museum bequem über eine breite Rampe zu erreichen. Dieses bietet zwar sehr berühmte Fundstücke und für Menschen, die sich etwas intensiver mit der griechischen Mythologie beschäftigen, ist es sehr interessant. für uns als Laien war es eher ermüdend. Dafür hat uns auf der Rückfahrt das sehr leckere Abendessen mit fangfrischem Fisch im Meeresfrüchte-Restaurant Eliopoulos im Fischerdörfchen Monastiraki direkt am Meer entschädigt. Einen großen Parkplatz fanden wir zudem direkt nebendran. Als willkommen Kontrast ließen wir den Tag darauf bei schönem, sonnigen Wetter am Chiliadou Beach, wenige Kilometer von unserer Wohnung entfernt, die Seelen baumeln. Wir stellten unser Fahrzeug im vorderen, nicht offiziellen Strandabschnitt ab und mussten eigentlich nur noch den mit Schlaglöchern übersäten Feldweg überqueren. Wir machten es uns am Strand bequem und konnten so richtig entspannen, da wir weit und breit die einzigen waren. Als mich meine meinem Assistenten ins Wasser verfrachtet hatten, war es mal wieder eine schöne Abkühlung, wobei ich mir etwas mehr Wellengang gewünscht hätte.
Einmal auf den Peloponnes und wieder zurück
Unser Ausflug auf den Peloponnes nach Patras, wichtige Hafenstadt und drittgrößte Stadt Griechenlands war auch noch sehr spannend. Hier pulsiert das Leben mit seinen vielen Kneipen, Cafés, Plätzen zum Verweilen und Sehenswürdigkeiten. Eine davon ist zweifellos die griechisch-orthodoxe Kathedrale im neobyzantinischen Stil mit ihrem Schutzpatron, dem Heiligen Andreas. Sie ist die größte Kirche Griechenlands und beeindruckt mit imposanten Gemälden und Verzierungen sowie von außen mit den zahlreichen Kuppeln. Die bekannte Burg mit schöner Aussicht über die Stadt ist teilweise barrierefrei; leider hat die Anlage nur bis 15:30 Uhr geöffnet und wir kamen zu spät. Dennoch konnten wir den auf einem schönen Platz noch genießen. Auf der Rückfahrt nahmen wir den Weg über die beeindruckende Rio-Antirio-Brücke, ihres Zeichens längste Schrägseilbrücke der Welt, und mussten glücklicherweise nur einen Anteil der saftigen Mautgebühren bezahlen.
Bevor wir uns auf die lange und anstrengende Rückfahrt machten, legten wir einen entspannten Tag ein und ich drehte noch mal eine Runde durch unser beschauliches Dorf. Am Tag der Abfahrt besorgten wir uns noch leckeren griechischen Honig und verabschiedeten uns herzlich von unserem Vermieter. Diesmal nahmen wir die ausgebaute Autobahn und waren recht schnell wieder in Igoumenitsa. Als kleiner Wermutstropfen wurde ich nochmals ganz nach Vorschrift ordentlich zur Kasse gebeten. Dafür blieb noch genügend Zeit, um noch mal Depranos Beach zu genießen und nicht danach mit meinem Freund Dimi im Restaurant Barbarossa direkt am Strand zu treffen. Wir genossen die gemeinsamen Momente unter einem wunderschönen Sonnenuntergang, bevor wir uns auf zum Fährhafen machten.
Eine Rückfahrt, die ist lustig
Dann begann leider der stressige Teil der Rückfahrt: morgens hatte ich es schon befürchtet, abends war mir dann endgültig klar, dass mein Dauerkatheter verstopft ist. Für den Gang zum Arzt war keine Zeit mehr und zu allem Überfluss hatte die Fähre zwei Stunden Verspätung. Somit musste ich noch ganz schön lange meine Schmerzen aushalten, bis wir dann in der Kabine auf dem Schiff mittels Einmalkatheter endlich Abhilfe schaffen konnten. Die Anwendung hatte ich einen meiner mich begleitenden Assistenten in weiser Voraussicht vorher üben lassen. Als kleine Entschädigung für die ganzen Umstände konnte ich vor der Ankunft in Ancona sogar einmal auf das Sonnendeck der Fähre fahren und den beeindruckenden Blick auf die grenzenlose Weite des Mittelmeeres sowie den wolkenlosen Himmel genießen. Etwas wehmütig fuhr ich nach der Ankunft von der Fähre mit dem Wissen, dass ich Griechenland auf jeden Fall ein zweites Mal besuchen werde.
Griechenland hat aber noch mehr zu bieten außer dem Meer, Bergen und antiken Städten. Mein persönlicher Favorit sind die Klöster von Meteora, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Die Klöster-das älteste Bauwerk geht auf das 11. Jahrhundert zurück-sind auf riesigen Sandsteinfelsen gebaut. Meteora erinnert an das Elb-Sandsteingebirge, ist aber noch spektakulärer und mit Bildern kaum zu greifen. Die gesamte Anlage besteht aus 24 einzelnen Klöstern, von denen heute nur noch sechs bewohnt sind. Die restlichen achtzehn Klöster sind entweder kaum zu erreichen oder wurden wegen Einsturzgefahr verlassen. Nur zwei Klöster sind mit dem Auto zu erreichen und wir steuerten eines davon an. Dank einer handvoll kleiner Alurampen, die vor Ort vorhanden waren, kam ich mit meinem E-Rollstuhl bis ins Kloster und konnte mir jahrtausendealte Schriften und Dokumente anschauen. Nach Meteora waren wir gut zwei Stunden unterwegs, diesmal mit meinem Vater an Bord, da einer meiner Assistenzkräfte planmäßig zurückflog. Es ging einen großen Teil über die Autobahn, die in Griechenland privat betrieben wird. Immer wieder hielten wir an einer Maut-Station, wobei beim Vorzeigen des Parkausweises die freie Durchfahrt oder zumindest eine Vergünstigung gewährt wird.
Die Autobahnen sind oftmals in besserem Zustand wie in Deutschland, was man von den Landstraßen nicht unbedingt behaupten kann. Mancherorts gibt es auch Straßen, die wie bessere Feldwege anmuten, vor allem außerhalb städtischen Bereichs. In den Städten selbst fanden wir erfreulicherweise immer wieder Behindertenparkplätze. Auf dem Rückweg kehrten wir dann noch in einer kleinen Taverne ein, von außen wie ein besseres Kiosk anmutend, aber die gute Google-Bewertung sollte recht behalten. Eine junge Frau verwöhnte uns in touristischem Ambiente mit einigen griechischen Köstlichkeiten, einfach, aber wahnsinnig lecker und preisgünstig. Ansonsten stand bei uns sehr oft frischer Fisch auf dem Programm, unter anderem in einem kleinen Fischerdorf. Der Service war meistens sehr gut, in einer Kneipe wurde mir sogar ein wichtiges Spiel meines Lieblings-Fußballklubs gezeigt – allerdings nur, weil die basketballverrückten Griechen vorzugsweise abends unterwegs sind.
Nafpaktos – ein schönes Städtchen mit geschichtsträchtigem Hintergrund
Die zweite Etappe meiner Griechenland-Reise führte nach Nafpaktos bei Patras, nachdem zwei andere Assistenzkräfte von mir eintrafen. Ich hatte eine kleine Airbnb-Wohnung gebucht und auf den Bildern sah alles ziemlich toll aus. Ich sollte nicht enttäuscht werden, denn in Elia House im dörflichen Managouli abseits der Stadtmitte von Nafpaktos war es sehr schön und ruhig, umgeben von viel Natur. Ganz zu schweigen vom Gastgeber-selten hatte ich es mit so einen netten und hilfsbereiten Vermieter zu tun. Eine halbe Stunde vor unserer Ankunft gaben wir ihm Bescheid und von einem leicht auffindbaren Treffpunkt aus ist er uns bis zur Ferienwohnung vorausgefahren. Genau genommen zwei kleine Ferienwohnungen nebeneinander, eine davon ideal für mich als Rollstuhlfahrer. Klein, aber mit E-Rollstuhl machbar; ein Pflegebett und ein Lifter sind allerdings nicht vorhanden. Als Begrüßungsgeschenk gab es frisch gebackenen Kuchen von der Schwiegermutter des Vermieters und frisch gepflückte Orangen. Was auch noch hervorzuheben ist: Er hatte seinen Onkel dabei, der fließend Deutsch spricht und selbst ein barrierefreies Hotel besitzt, https://villa-sevasti.de/. Einerseits gab mir das ein gutes Gefühl, andererseits konnte er mich auf sein Hotel aufmerksam machen. Somit also eine WIN-WIN Situation 😊
Für den kommenden Tag bot uns der Vermieter an, uns etwas von Nafpaktos zu zeigen. Zusammen mit seiner Frau machten wir eine kleine Runde bis zur Hafenpromenade mit antikem Hafen und bekamen eine Einführung in die geschichtlichen Hintergründe der Stadt sowie gute Unterhaltung geboten. Die Befestigung der Stadt mit der imposanten venezianisch geprägten Burg ist beeindruckend und konnte erst 1499 von einem 150.000 Mann starken Heer der Osmanen eingenommen werden. In einem der zahlreichen Cafés wurden wir sogar vom Besitzer eingeladen und bekamen ein dünnes Kochbuch mit typisch griechischen Gerichten geschenkt. Auf dem Rückweg erwischte uns ein heftiger, länger anhaltender Regenschauer und wir mussten unterstehen. Ohne zu zögern bot uns mein Gastgeber an, seine Schwester anzurufen, um meinen Assistenten mit ihrem Auto schnell zum Parkplatz meines Busses zu fahren. Wenig später war ich dann in meinem Bus und somit im Trockenen.
In der Innenstadt von Igoumenitsa kam mir mein Kumpel Dimitrios genannt Dimi mit seinem Bus entgegen und wir fuhren gemeinsam zu seiner Wohnung am Rand der Stadt. Die geniale Komposition aus dem Meer mit wunderschönen Stränden und dem hügeligen bis bergigen Hinterland in sattem Grün, teils bewaldet mit vielen Olivenbaum-Plantagen und anderen wunderbaren Gewächsen sollte uns die nächsten 18 Tage begleiten. Die Reisezeit Ende Mai außerhalb der eigentlichen Saison sollte sich als Volltreffer herausstellen. Denn zum einen lagen die Temperaturen durchschnittlich bei angenehmen 25° und es kühlte auch abends nicht zu sehr ab. Zum anderen hatten wir die Strände für uns alleine. Die Sache rund gemacht hat die grenzenlose Gastfreundschaft, wie ich es noch nie in diesem Maße habe. Angefangen mit dem Aufenthalt bei Dimis und seinem hilfsbereiten Assistenzteam. Nach guten Gesprächen und typisch griechischem Essen, starteten wir am nächsten Tag ausgeruht zu den Acheron Springs, eine Flusslandschaft im hügeligen Hinterland. An diesem idyllischen Ort in der Natur erblickten wir viele Orangen- und Zitronenbäume auf den Wiesen und stellten den Bus an einer Campingwiese mit Kiesstrand am Fluss ab. Ich genoss den Nachmittag in vollen Zügen und mein erstes Mal in einer Hängematte setzte dem Ganzen die Krone auf. Ganz entspannt machten wir einen Abstecher nach Parga mit seiner sehr schönen Hafenpromenade und einer reichhaltigen Auswahl an Restaurants. Am nächsten Tag stand Dodona auf dem Programm, ein antikes griechischesHeiligtum und Orakel, welches auf das 3. Jahrhundert vor Christus zurückgeht. Hier von den grünen Bergen des Tomaros-Gebirges umgeben konnten wir auch ein gut erhaltenes Amphitheater bestaunen und uns von der exzellenten Akustik überzeugen
Herrliche Natur, Berge und das Meer
Auch das Küstenstädtchen Syvota gehörte zu unserem Programm. Ein nettes kleines Städtchen mit Tourismus, aber trotzdem wunderschön in einer Bucht gelegen mit einem kleinen süßen Hafen und einigen Restaurants. Wer ein bisschen genauer sucht, stößt bald auf einen malerischen Strand mit glasklarem Wasser wie in der Karibik. Über einen kleinen Umweg vorbei an wunderschön blühenden Pflanzen und viel Natur und einem relativ steilen geteerten Stück am Ende, schaffte ich es auch mit meinem Rollstuhl in den Palmbeach Club am Gallikos Molos Beach. Auch der Zugang zum Strand war kein Problem. Es war ein echtes Highlight für uns, von Igoumenitsa aus die Küste entlang Richtung Süden zu fahren -vor allem wenn die Straße etwas höher gelegen verläuft, sind die Ausblicke auf die vielen verwinkelten Buchten und das Meer schier atemberaubend. Wie gut, dass es kaum ein Land mit mehr Küstenkilometern gibt. Unter anderem verweilten wir noch am wunderschönen Agia Paraskevi beach. Hier ließ ich es mir nicht nehmen, mich bei 20° Wassertemperatur abzukühlen. Aber auch in Igoumenitsa direkt gibt es einen genialen Strandabschnitt; Depranos Beach, eine langgezogene Landzunge mit viel Campingflächen und Sand wie im Bilderbuch.Generell empfehlen sich für Rollstuhlfahrer besonders die als explizit rollstuhlgerecht ausgeschriebene Strände. Dort ist in den Sommermonaten ein System installiert, bei dem der Nutzer mit einem Sitz über eine spezielle Holzrampe wie auf Schienen ins Wasser gefahren wird https://seatrac.gr/en/map/.
Ein Assistent und guter Freund legte mir mehrmals Griechenland als Reiseziel nahe. Da ich aufgrund meines hochsensiblen E- Rollstuhls das Fliegen skeptisch sehe, schien dieses Ziel außer Reichweite. Ein griechischer Kumpel aus Heidelberg, der in Igoumenitsa eine barrierefreie Wohnung besitzt, weckte meinen Ehrgeiz und die Abenteuerlust.
Die Möglichkeit, ein Teil der Route nach Griechenland mit einer großen Fähre mit Kabinen speziell für Rollstuhlfahrer im Liegen zurückzulegen, war für mich ausschlaggebend. Aufgrund seiner Skoliose kann ich nur begrenzt im E-Rollstuhl sitzen. Die entscheidende Frage war, ob ich auch mit seinem E-Rollstuhl in die Kabine komme. Nachdem ich sichergestellt hatte, dass ich bei beiden großen Fährunternehmen, die von Italien nach Griechenland fahren, die Kabine nutzen kann, stand dem Trip nichts mehr im Wege. Natürlich war die Organisation der Reise sehr aufwendig, da ich auch auf mögliche technische und medizinische Notfälle vorbereitet sein wollte. Im Ernstfall war es für mich wichtig, ärztliche Anlaufstellen zu kennen, was Dank meines griechischen Freundes gar nicht so schwer war. Da das staatliche Gesundheitssystem Griechenland nicht so gut ausgebaut ist, kann es gut sein, auf eine private und dementsprechend teure Institution zu treffen. Deshalb empfehle ich allen Menschen mit Behinderung dringend, eine günstige Auslands-Krankenversicherung abzuschließen. Bezüglich meines E-Rollstuhls habe ich die sensibelsten Teile mitgenommen und mich versichert, dass mein Rollstuhlmechaniker und mein Spezialist für die Elektronik in meiner Reisezeit für telefonische Beratung und Hilfestellung erreichbar sein würden. Ein geeignetes Sanitätshaus und einen Pannendienst für E-Rollstuhlfahrer, der europaweit agiert, konnte ich leider nicht ausfindig machen.
Gute Vorbereitung ist alles
Für den notwendigen Zwischenstopp habe ich dieselbe airbnb-Wohnung am Comer See gebucht wie letztes Jahr bei meinem Italien-Urlaub. Denn das Jahr zuvor war ich in derselben Wohnung eines sehr netten und engagierten Vermieters. Mitte Mai ging es mit einem bewährtem Reiseassistent und vollgepackten Kleinbus endlich los. Eine weitere Assistentin sammelten wir erfolgreich in Luzern ein und absolvierten den Rest der 1. Etappe mit Bravour. Am nächsten Tag wurde es erstmals etwas abenteuerlich. Aufgrund der verheerenden Überschwemmung in der Po-Ebene war die Autobahn nach Bologna gesperrt und wir machen plötzlich mit zwei Stunden unruhig konfrontiert. Damit war unser Zeitplan dahin und die rechtzeitige Ankunft am Fährhafen Ancona in Gefahr. Da wir die letzten 300 km ohne Pause und in höchstmöglicher Geschwindigkeit absolvierten, haben wir es noch geschafft. Obwohl ich schon Online-Tickets hatte, mussten wir noch mal vor Ort einchecken, aber dafür wurden auch meine Bedürfnisse ohne Probleme berücksichtigt.
Wir durften als eines der ersten Fahrzeuge an Bord und wurden so eingewiesen, dass für mich genügend Platz war, über die Klapprampe aus dem Auto zu fahren. Um mit einem Teil unseres Gepäcks in die Kabine zu kommen, holte meine Assistentin an der Rezeption des Schiffes Hilfe. Bald darauf kam ein Bediensteter und schleuste uns über einen Mitarbeiterzugang und einen Aufzug zur Rollstuhlkabine. Um zu diesem Zugang zu gelangen, war noch eine recht hohe Schwelle zu überbrücken, was glücklicherweise mit meiner leichten Klapprampe kein Problem war. Auf der Rückfahrt holten die Service-Leute ohne Aufforderung zwei kleine Alu-Blechrampen hervor. Dies unterstreicht, dass die Fährunternehmen prinzipiell auch auf schwere E-Rollstühle ausgerichtet sind. Allerdings würde ich persönlich -sofern man im Auto unterwegs ist- auf Nummer sicher gehen und eine mobile Klapprampe mitnehmen. Eine solche kann der oder die reisende E-RollstuhlfahrerIn unterwegs immer gebrauchen. In der Kabine war genügend Platz für den E-Rollstuhl und ausreichend Bewegungsspielraum für die Assistenz, um mich ins Bett zu legen. Die andere Assistenz-Kraft hat in meinem Bus übernachtet. Sanftes Schaukeln begleitete unsere Überfahrt und am nächsten Morgen sind wir recht entspannt in Igoumenitsa angekommen. Wir durften länger in der Kabine bleiben wie anderen Gäste ohne Wege und wurden dann abgeholt und zum Auto eskortiert.
Nachdem wir das historische Krisenjahr 2022 (endlich mögen manche sagen) hinter uns gelassen haben, möchte ich das neue Jahr unbedingt mit ein paar positiven Botschaften beginnen. Natürlich gibt es genügend Entwicklungen, die uns zu Pessimismus verleiten, umso wichtiger ist der Blick aufs Positive! Dem Gerede, dass früher alles besser war, kann ich absolut nichts abgewinnen, auch wenn das manchmal so scheinen mag. bezogen auf den politischen Betrieb in Berlin stimmt das vielleicht sogar, wenn man überlegt wie realitätsfern und unausgereift manches Gesetz daherkommt -ich sage nur IPReG.
Aber es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, da es zu einem genug Mitbürger gibt, die im gleichen Boot sitzen und sich gerne mit vereinten Kräften für eine Verbesserung oder Gesetzesänderung einsetzen. Und es gibt immer noch genug PolitikerInnen, die zuhören und sich für die Belange von Bürgern mit schwacher Lobby, zum Beispiel mit Schwer- und Schwerstbehinderung, einsetzen. Wenn wir uns die Entwicklung der Inklusion anschauen, sind wir zwar noch einige Schritte vom Ziel entfernt, aber die Sensibilisierung für dieses Thema ist gewaltig gestiegen und die nachfolgenden Generationen wachsen bereits viel inklusiver auf als früher. Natürlich sind wir in Deutschland massiv hintendran, vor allem wenn wir das System Behindertenwerkstatt betrachten, bei dem noch vieles im Argen liegt. An dieser Stelle wäre es zu viel des Guten, genauer darauf einzugehen, nur so viel: auch wenn das System generell reformiert gehört, sind nicht alle Werkstätten per se gleichzusetzen mit Ausbeutung von Menschen mit Behinderung. Differenzierung tut sowohl hier als auch in anderen Bereichen not.
Der Super-Mechaniker
Zum Beispiel im Bereich der medizintechnischen Versorgung, bei dem RollstuhlfahrerInnen und beatmete Menschen in den letzten Jahren zunehmend das Gefühl bekommen, dass es nur noch ums Geld geht, die bürokratischen Auflagen immer mehr zunehmen und die guten sowie motivierten Orthopädiemechaniker an einer Hand abzuzählen sind. Aber immerhin gibt sie noch, die Mechaniker, die Bock auf ihren Job haben und zu jeder Zeit bereit sind, zu helfen. Ich durfte es unlängst am 1. Weihnachtsfeiertag erfahren, als zum 3. Mal innerhalb kürzester Zeit eine meiner wichtigsten elektrischen Funktionen an meiner E-Rollstuhl versagt hat. So wie mein Mechaniker, der mir versprochen hat, telefonisch jederzeit erreichbar zu sein, obwohl es ihm zurzeit gesundheitlich nicht so gut geht. Ich habe zwar tief in meinem Inneren auf eine Notreparatur gehofft – durch den Defekt war mein Kurz-Aufenthalt bei der Familie dieses Weihnachten stark gefährdet, da ich ja nicht mehr aus dem Bett rauskonnte – aber wirklich damit gerechnet habe ich nicht. Aber mein Mechaniker hat mal wieder sein großes Herz bewiesen und war am 1. Weihnachtsfeiertag zur Stelle. Danke, lieber Markus!
Blick unter den E-Rollstuhl es war einmal ein ganzes Kabel …
Bürokratie kann auch positive Förderung
Zum Beispiel im Bereich Behörden und Ämter, mit denen man manchmal das nackte Graußen bekommen könnte. Es gibt aber zum Glück -und das war früher nicht anders- immer wieder SachbeabeiterInnen, die nicht nur Akten lesen, sondern sich individuell mit „uns Menschen mit Behinderung“ beschäftigen und versuchen, uns bestmöglich zu unterstützen. Diese sind an unserer Lebenswirklichkeit interessiert und versuchen, den rechtlichen Spielraum zu unseren Gunsten auszulegen. Hier kann man auch ein bisschen die Sinnlinie des Bundesteilhabegesetzes erkennen, die das individuelle Bedürfnis von Menschen mit Behinderung und das Recht auf Selbstbestimmung mit einer modernen Definition des Menschen mit Behinderung verbindet. Ein Gesetz, das nach scharfer Kritik von Behindertenaktivisten und Selbsthilfeverbänden nochmals nachgebessert wurde und nun eine brauchbare Grundlage bietet. Danke an alle engagierten Menschen da draußen, die sich für unsere Sache der Menschen mit Behinderung einsetzen (stellvertretend sei hier der GKV-IPReG ThinkTank genannt) – das motiviert immens. Das zeigt, dass es vor allem darauf ankommt, nicht zu jammern, sondern sein Schicksal allein oder gemeinsam mit lieben engagierten MitstreiterInnen in die Hand zu nehmen, seines Glückes Schmied zu sein. Das zum Beispiel SachbeabeiterInnen euch wohlgesonnen sind, kommt nicht von ungefähr. Da müssen manches Mal dicke Bretter gebohrt und viele Gespräche geführt werden, damit auf der Gegenseite das nötige Verständnis wachsen kann.
Meine E-rkenntnis des Tages: Mache dich nicht abhängig von den Dingen, die du sowieso nicht ändern kannst, sondern versuche zusammen mit einem engagierten Umfeld an den Stellschrauben zu drehen, die du in der Hand hast.
Weihnachten 2022, Entspannung und Erleichterung macht sich breit. Das Krisenjahr 2022 hat uns allen sehr viel abverlangt. Nach 2 Jahren Corona dachten wir, es könnte nicht schlimmer kommen. Umso größer ist die Hoffnung auf 2023, auch wenn man als Mensch mit Schwerstbehinderung am meisten abhängig von anderen und allgemeinen Entwicklungen ist. Gut zu wissen: Der Staat hilft viel und uns geht es verhältnismäßig immer noch sehr gut. Davon profitieren auch viele Menschen mit Behinderung, die in Krisenzeiten allerdings von möglichen Einsparungen oft als erste betroffen sind. Es stellt sich die Frage: Wie viel Wert sind der Politik und letztendlich der Gesellschaft die Beibehaltung und Weiterentwicklung von Selbstbestimmung, Inklusion und menschenwürdiger Pflege? Auf diese ist ein großer Teil unserer Bevölkerung irgendwann selbst angewiesen und ich wundere mich jedes Jahr aufs Neue, wann dieser Berufsstand bzw. der gesamte sozial Sektor endlich mal die notwendige und nachhaltige Wertschätzung erhält. Das gilt genauso für die persönliche Assistenz, die Menschen wie mir trotz gravierender körperlicher Einschränkungen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Im Zuge des Bundesteilhabegesetzes sind Städte und Gemeinden richtigerweise dazu übergegangen, den Unterstützungsbedarf von Menschen mit Assistenzbedarf individueller festzulegen. Ich für meinen Teil habe davon bisher sehr profitiert, denn durch den persönlichen Besuch von Sachbearbeitern des Sozialamtes bekamen diese einen sehr anschaulichen Blick in Praxis meines Alltagslebens. Von anderen Menschen in meiner Lage erfuhr ich, dass das Sozialamt minutiös den Tagesablauf gegengerechnet. In Zeiten des Sparens wird dies ja wohl noch erlaubt sein. Aus meiner Sicht ist dies eher menschenverachtend und führt zu einem noch höheren Abhängigkeitsgefühl… Zu Weihnachten wünsche ich mir dieses Jahr etwas anderes und vor allem mehr Solidarität aus der Bevölkerung. ABER: Ich wünsche euch schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr! 👍 🌲 ✨
Als weitgereister E-Rollstuhlfahrer kann ich euch das „Handicapped Reisen-Handbuch“ Herz legen. Natürlich ist es meist günstiger, sich selbst eine passende Urlaubsunterkunft zu suchen. Hat meistens auch mehr Urlaubs-Charme 😉 Eine gute Grundlage und ein paar sinnvolle Tipps für Regionen und Unterkünfte halte ich aber trotzdem für sehr sinnvoll.
Als super Ergänzung empfehle ich deshalb die Lektüre des „Handicapped Reisen-Handbuchs“ https://www.handicapped-reisen.de/ mit seinem Ratgeberteil, den Beschreibungen zahlreicher Reiseziele sowie den vielen detaillierten Unterkunftspräsentationen. Es ist die ideale Lektüre zur Vorbereitung eines Urlaubes mit Rollstuhl bzw. E- Rollstuhl. Es finden sich darin gute Tipps, was vor einer Reise zu beachten ist. Nicht nur für Deutschland bietet es einen sehr guten Überblick, wo es sich durchaus lohnt, einmal hinzufahren. Manchmal muss man gar nicht so weit wegfahren. Wem es nicht nach Abenteuer und unschönen Überraschungen steht, für den sind die Tipps der rollstuhlgerechten Unterkünfte äußerst nützlich.“
Meine Erkenntnis des Tages: Beim Reisen mit dem E-Rollstuhl ist eine gute Vorbereitung alles!
Bei der Frage, was ich mir vom neuen Jahr erwarte, geht es mir grundsätzlich immer erst darum, was ich mir von mir selbst erwarte. Das habe ich eben beschrieben. Dann geht es darum, was ich vom neuen Jahr allgemein bzw. der Politik und was ich von meinem Umfeld, zum Beispiel meiner Assistenz, erwarte.
Und da ist Corona, auch wenn es nur noch nervt, so etwas wie ein Brennglas, das die Spreu vom Weizen trennt. Was wurde aus Corona gelernt? Wann steht die Pflege endlich wieder im Mittelpunkt, nachdem das Gesundheitswesen jahrzehntelang herunterwirtschaftet wurde? Da erwarte ich einiges von unserem neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Eigentlich völlig unverständlich, wieso augenscheinlich nichts getan wurde, um dem schon lange auf uns zurollenden Pflegenotstand nachhaltig zu begegnen. Genau in dieser Zeit fällt einem gewissen Jens Spahn nichts Besseres ein, als das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) (https://www.cody.care/gkv-ipreg/) einzuführen. Natürlich ging es vordergründig um hehre Ziele, wie Betrug bei der Beatmungspflege vorzubeugen und überbordende Kosten zu verhindern.
Durch die Hintertür konfrontierte er betroffene Menschen aus der außerklinischen Intensivpflege mit unnötigen Ängsten und in Zukunft mit noch mehr Bürokratie und kaum zu erfüllenden Vorgaben. Letzten Endes befürchten viele Betroffene Heimzwang oder den Zwang in eine bestimmte Wohnform. Dies ist meines Erachtens zum Glück nur in absoluten Ausnahmefällen zu befürchten. Das eigentlich Schlimme ist, dass die Politik mal wieder ein Gesetz an den eigentlichen Bedürfnissen der betroffenen Menschen vorbei auf den Weg gebracht hat. Es hätte so einfach sein können, mit etwas geschickterer Kommunikation, Wertschätzung und Einbeziehung von Betroffenen in das Gesetzgebungsverfahren.
Das Positive ist: Aus diesen unsäglichen Irrungen und Wirrungen des Spahnschen Gesetzesvorhabens, das mal wieder ohne nachhaltigen Austausch mit den Betroffenen und ihren Verbänden über die Bühne gegangen ist, können wir auch wieder sehr gut unseren Nutzen ziehen, vor allem haben wir viel Öffentlichkeit dadurch gewonnen. Vielen Dank an dieser Stelle für die Bemühungen des GKV-IPReG ThinkTank (https://www.cody.care/gkv-ipreg-thinktank/) und seiner Initiatoren, der das Gesetzesvorhaben kritisch begleitet und verbessernde Maßnahmen zum bisherigen Gesetz erarbeitet hat. Und das ist doch wirklich positiv: Bei kaum einem anderen Gesetz war es wohl möglich, so konkret Einfluss zu nehmen, und die neue Bundesregierung ist wie es scheint, offen für Hinweise und Verbesserungsvorschläge.
So ist es für viele Betroffene schön zu sehen, wie viel gemeinsam erreichbar ist, wenn man seine Stimme erhebt. Und wenn man es selbst nicht tun kann, dann springen andere für einen in die Bresche. Aber lange Rede, kurzer Sinn: Jetzt erwarte ich von der Politik endlich auch mal Taten.
Meine persönliche Erkenntnis des Tages: Wann macht Berlin endlich mal Politik für ihre Bürger?
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Kommunikation und wertschätzende Einbeziehung ist alles.
Wenn ein Jahr zu Ende geht, ist es mir schon immer wichtig gewesen, noch mal mit etwas Abstand darauf zu schauen, was für mich hängen geblieben ist. Ich bemühe mich gerne, den Fokus auf die positiven Dinge, Erfahrungen, Glücksgefühle und neue Bekanntschaften zu richten.
Dann überlege ich mir, welche Ziele ich mir für das neue Jahr setze und was ich mir wünsche. Eigentlich habe ich gelernt, sich am besten nur ein Ziel zu setzen, weil man es sonst aus dem Fokus verliert. Mein Ziel war die letzten Jahre fast immer, einfach etwas weniger zu machen, um etwas mehr Zeit für mich selbst zu haben, zum Beispiel für idealistische Projekte wie eine Autobiografie zu schreiben oder einfach nur meiner Gesundheit etwas Gutes zu tun. Umgesetzt habe ich es leider selten. Am besten, so viel wie möglich und so schnell wie möglich oder besser noch, alles auf einmal.
Das Gute ist: Ein neues Jahr bietet immer wieder die Chance, den guten Vorsatz wahr werden zu lassen. Was könnte für mich in diesem Jahr endgültig der ersehnte Gamechanger sein? Oder ist es ausreichend, bestimmte Dinge anders wahrzunehmen oder mein Verhalten etwas anzupassen? Ein geeigneter Gamechanger könnte mein neues Projekt sein, mich für ein Unternehmen als Markenbotschafter ins Spiel zu bringen, um später leichter interessante Projekte pro Inklusion starten oder anderen Menschen mit Behinderung in Notlagen zu helfen so zu können. Ich lade alle InteressentInnen herzlich ein, mal auf meine Landingpage zu schauen: https://erfolgskooperation.marcel-gibtgas.de/
Wieso nicht zukünftig zum Beispiel als diplomatischer Barrierefrei-Botschafter der Deutschen Bahn arbeiten? Es würde gut passen, da ich noch nie den Lautsprecher abgegeben habe, der vor allem die aktuellen Missstände für Menschen mit Behinderung angeprangert hat. Für mich ist auch immer die andere Seite der Menschen ohne Behinderung und das Verständnis für diese notwendig. Konstruktive Kritik an der Gesetzgebung und fehlender Barrierefreiheit, gemeinsam Lösungen anstreben und Brücken bauen als Handwerkszeug – das ist meine Vorstellung eines „Inklusions-Aktivisten“. Damit möchte ich diejenigen, die es anders und provokant auslegen, nicht schlecht reden, denn auch sie werden mit ihrer Vorgehensweise gebraucht – das ganze Spektrum eben.
Meine persönliche Erkenntnis des Tages: Manchmal braucht es nur einen kleinen Impuls und man ist einer großen Erkenntnis-Schritt weiter.
Den 49. MAIK-Onlinetalk mit dem Titel „Assistenz im Krankenhaus – eine Mogelpackung? Viele Betroffene fühlen sich weiterhin allein gelassen“ am 27.10.2021 (Link zur gesamten Aufzeichnung) werde ich so schnell nicht vergessen. Nicht nur weil ich diesen Talk maßgeblich mitorganisiert habe, sondern weil er mich sehr motiviert und mir wieder mal gezeigt hat, was durch Vernetzung alles möglich ist. Die Lobby von Menschen mit Behinderung ist zwar nicht sehr groß, aber zusammen sind wir eine starke Gemeinschaft und können selbstbewusst für unsere Rechte eintreten und bekommen dafür viel Unterstützung und diverse Plattformen. Der Münchner außerklinische Intensiv Kongress (MAIK) ist eine solche. Wo normalerweise viele Menschen mit Beatmung, Ärzte und Therapeuten zusammenkommen, finden dieses Jahr aufgrund der Pandemie zum zweiten Mal verschiedene Onlinevorträge und -diskussionen statt. Das hat den großen Vorteil, dass mehr Menschen teilnehmen können, auch weil der Zeit- und Reiseaufwand für viele von uns mit Beatmungsgerät enorm ist und dadurch entfällt.
Netzwerken und gegenseitige Unterstützung als Schlüssel
So hatte ich das Glück, Ottmar Miles-Paul, der die Selbstbestimmt Leben-Bewegung wie kein Zweiter geprägt und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) mitbegründet hat und heute unter anderem Sprecher der Liga Selbstvertretung ist, für diesen Talk zu gewinnen. Genauso wie seine Mitstreiterin Dinah Radtke, die ebenso große Verdienste um die Selbstbestimmt Leben-Bewegung hat sowie um die Rolle von Frauen mit Behinderung in der UN-Behindertenrechtskonvention.
Zu Beginn gab Uwe Frevert, Geschäftsführer der EUTB® von Selbstbestimmt Leben in Nordhessen (SliN e.V.) und langjähriges Vorstandsmitglied im Bundesverband der Zentren für selbstbestimmtes Leben (ZsL®) der ISL e.V. ist, einen Einblick in die rechtlichen Hintergründe der Gesetzgebung zur Assistenz im Krankenhaus. Uwe Frevert hat selbst seit 60 Jahren Erfahrung im Leben mit mechanischer Beatmung und 1988 einen großen internationalen Kongress in München zum Thema organisiert.
Bislang war die Situation so, dass lediglich AssistenznehmerInnen, die ihre Assistenz über das Arbeitgebermodell sicherstellen und selbst Arbeitgeber sind, ihre Assistenzleistung während eines Krankenhausaufenthaltes weiter erhalten. Für AssistenznehmerInnen, die wie ich über einen ambulanten Pflegedienst ihre Assistenz in Anspruch nehmen, gilt das nicht. Obwohl wir darauf genauso angewiesen sind. Diese Gesetzeslage wurde nun verbessert, wobei außerklinisch bzw. ambulant versorgte Menschen wie ich mit hohem spezifischen Assistenzbedarf wie zum Beispiel Beatmungspflege immer noch außen vor sind. Das ist sehr frustrierend, da gerade Vertreter dieser Menschen explizit dafür gekämpft hatten. Das vom derzeitigen Bundesbehindertenbeauftragten angekündigte Evaluationsverfahren, um zu sehen, was in der Gesetzesvorlage noch verbessert werden müsse, kann man sich getrost sparen, zumal das Gesetz erst in einem Jahr in Kraft tritt. Denn die Defizite und notwendigen Veränderungen liegen auf der Hand. Den Behindertenbeauftragten Jürgen Dusel und den Bundesrat möchte ich von meiner deutlichen Kritik ausnehmen, da sich beide genau über die Lücken der Vorlage im Klaren sind und überhaupt erst ermöglicht haben, dass überhaupt etwas gesetzlich geregelt wird.
Aufgeben gilt nicht!
Aber Aufgeben ist ein schlechter Berater, denn eine gescheite Regelung kann lebensnotwendig sein. Ich erinnere mich nur zu gut an den November 2019, als ich mich viel zu spät mit einer schweren Lungenentzündung in die Klinik einliefern habe lassen. Die Folge war, dass ich ums Überleben kämpfen musste. Wieso hatte ich es soweit kommen lassen? Einer die Hauptgründe war, dass nicht gesichert war, ob ich meine Assistenz würde mitnehmen können. Meine Assistenz, die mich so gut kennt, in den Handreichungen und im Handling total eingespielt mit mir ist und weiß, was ich in diesem oder jenem Moment gerade benötige und was richtig ist. Bei meiner Erkrankung Muskeldystrophie Duchenne kommt es in erster Linie nicht auf Fachwissen, sondern auf monate- und jahrelange Erfahrung und Automatisierung von Abläufen an. Die meisten AssistentInnen kennen mich besser wie manch FreundIn oder Familienmitglied. Da entsteht Vertrauen, das in körperlichen und psychischen Grenzsituationen absolut unverzichtbar ist. Wenn ich dann aus einer perfekt organisierten Umgebung in eine „fremde noch unorganisierte Umgebung“ komme, habe ich erst mal ein riesiges Problem, es sei denn meine wichtigsten Assistenz- und Vertrauenspersonen sind mit dabei. Ich konnte letztendlich dank einer Einzelfallentscheidung zwar für eine gewisse Zeit am Tag meine Assistenz in Anspruch nehmen, aber dafür waren zu viel unmenschlichen Hürden zu überspringen, unter anderem einige nervenaufreibende Gespräche mit dem Kostenträger seitens meiner Familie.
Das Statement von Ottmar Miles-Paul (Video Minute 1:17-1:31) sprach mir und den anderen ZuhörerInnen aus der Seele. Gleichzeitig war es Auftrag, sich gerade jetzt, da gerade Koalitionsverhandlungen stattfinden, mit aller Macht an die Politik zu wenden. Jetzt könne man sich, so Miles-Paul, rechtzeitig in Erinnerung rufen, denn wenn ein Koalitionsvertrag einmal stehe, sei der Spielraum nicht mehr groß. Die PolitikerInnen könnten sich dann immer auf das Papier berufen, egal wie prekär die Situation sei.
Und was war der Tipp des Koordinators einiger behindertenpolitischer Aktionen, wie wir am besten vorgehen sollten? Das wichtigsten sei Miles-Paul zufolge, dass die PolitikerInnen ein konkretes Bild von den realen Alltagsproblemen im Kopf haben. Die ganzen gesetzlichen kleinteiligen und nicht auf Anhieb verständlichen Paragrafen seien zunächst zweitrangig. Wir sollten unbedingt mit drastischen Worten beschreiben, was es heißt, ohne Assistenz ins Krankenhaus zu müssen oder ohne zu wissen, dass sie gewährt wird. Sehr prägnant fand ich auch das Bild des Rucksacks, den es zu packen gelte, mit allen Dingen, die wir bezüglich Assistenz im Krankenhaus benötigen. Er gab auch den Tipp, mit diesem Rucksack zur Krankenkasse zu gehen, um im Vorfeld schon klarzumachen, was es im Bedarfsfall brauche und was für eine Lösungsmöglichkeit im Ernstfall bestehe.
Gemeint ist hier, dass im Rahmen des Teilhabeplanverfahren des Bundesteilhabegesetzes, also den §§19 bis 23 im SGB IX seit 2018, unbedingt ein Auftrag an den zuständigen Kostenträger vermerkt werden sollte, dass im Fall des Krankenhausaufenthaltes ein außerordentlicher Bedarf an persönlicher Assistenz besteht.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Jammern hilft nicht und gemeinsam sind wir stark-gehen wir es an!!
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Vielen Politikern würde es sehr gut zu Gesicht stehen, sich mit den Alltags Sorgen und -problemen zu beschäftigen und sie damit nicht allein zu lassen.
Für alle, die sich noch mehr informieren und tiefer in die Materie einsteigen möchten, habe ich in den folgenden Passagen die wichtigsten Infos zusammengetragen:
Die neue Gesetzesvorlage sieht vor, dass bei Mitaufnahme von Begleitpersonen aus dem privaten Umfeld die Gesetzliche Krankenversicherung die gegebenenfalls anfallenden Entgeltersatzleistungen (§ 44b SGB V) übernimmt. Bei Begleitung durch vertraute Mitarbeiter*innen der Eingliederungshilfe werden die Personalkosten von den für die Eingliederungshilfe zuständigen Trägern (früher „Heime“ genannt) übernommen (§ 113 Abs. 6 SGB IX). Voraussetzung ist in beiden Fällen, dass die zu begleitende Person grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe hat. Die pflegerische Leistung bleibt weiterhin Aufgabe des Krankenhauspersonals.
Uwe Frevert sprach im Vortrag noch weitere Defizite der Gesetzesvorlage an und inwiefern diese verbessert werden muss. Menschen, die wie ich körperlich stark eingeschränkt sind, bekommen nur Assistenz, wenn sie Eingliederungshilfe, aber entscheidender noch, wenn sie einen weiteren Hilfebedarf benötigen: Dieser Hilfebedarf umfasst Leistungen zur Verständigung und zur Unterstützung im Umgang mit Belastungssituationen als nichtmedizinische Nebenleistungen zur stationären Krankenhausbehandlung. Genaueres geht aus der Bundesdrucksache 19/31069 zu §113 (6) SGB IX hervor:
Insbesondere Menschen mit geistigen Behinderungen, die behinderungsbedingt nicht die für die Behandlung erforderliche Mitwirkung erbringen können bzw. ihre stark ausgeprägten Ängste und Zwänge oder ihr Verhalten behinderungsbedingt nicht kontrollieren können oder Menschen mit seelischen Behinderungen, die vor allem durch schwere Angst- oder Zwangsstörungen beeinträchtigt sind.
Menschen, die keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben und in einem Pflegeheim leben, werden im Übrigen ebenfalls nicht berücksichtigt, auch wenn sich ihr Bedarf z.B. aus der Demenz ergibt. Und Angehörige von Menschen in der außerklinischen Intensivpflege bzw. Beatmungspflege nach § 37c SGB V haben keinen Anspruch auf Krankengeld bei Mitaufnahme ins Krankenhaus, obwohl sie z.B. bei der Beatmungspflege besonders auf personenbezogene Assistenz angewiesen sind.
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