Als weitgereister E-Rollstuhlfahrer kann ich euch das „Handicapped Reisen-Handbuch“ Herz legen. Natürlich ist es meist günstiger, sich selbst eine passende Urlaubsunterkunft zu suchen. Hat meistens auch mehr Urlaubs-Charme 😉 Eine gute Grundlage und ein paar sinnvolle Tipps für Regionen und Unterkünfte halte ich aber trotzdem für sehr sinnvoll.
Als super Ergänzung empfehle ich deshalb die Lektüre des „Handicapped Reisen-Handbuchs“ https://www.handicapped-reisen.de/ mit seinem Ratgeberteil, den Beschreibungen zahlreicher Reiseziele sowie den vielen detaillierten Unterkunftspräsentationen. Es ist die ideale Lektüre zur Vorbereitung eines Urlaubes mit Rollstuhl bzw. E- Rollstuhl. Es finden sich darin gute Tipps, was vor einer Reise zu beachten ist. Nicht nur für Deutschland bietet es einen sehr guten Überblick, wo es sich durchaus lohnt, einmal hinzufahren. Manchmal muss man gar nicht so weit wegfahren. Wem es nicht nach Abenteuer und unschönen Überraschungen steht, für den sind die Tipps der rollstuhlgerechten Unterkünfte äußerst nützlich.“
Meine Erkenntnis des Tages: Beim Reisen mit dem E-Rollstuhl ist eine gute Vorbereitung alles!
Eine gefühlte Ewigkeit ist der Himmel über Deutschland nun schon grau, hinzu kommen Horrormeldungen vom mutierten Coronavirus aus England und der Impfstoff ist ein überaus rares Gut – kein Wunder, wenn man da Depressionen bekommt. Aber genug davon! Zum Glück ist der Frühling nicht mehr ferne und die Hoffnung auf Reisen im Sommer ist längst nicht tot.
Wenn ich auf letztes Jahr zurückblicke, war der Sommer sehr angenehm und meiner kleinen Deutschland-Tour nach Dresden und Berlin stand nichts im Wege. Dresden – schon lange stand die schöne Stadt an der Elbe mit ihrer wunderschönen Altstadt auf meiner Reise-Agenda. Unweit von den berühmten Sehenswürdigkeiten wie dem Zwinger, der Frauenkirche und der Semperoper hatte ich für mich und meinen Vater ein barrierefreies Doppelzimmer im gediegenen Hotel Martha gebucht. Kann ich nur jedem/r E-Rollstuhl-FahrerIn empfehlen, sofern er/sie kein Pflegebett benötigt. Vor allem der Service beim Frühstück auf der Terrasse und der einzigartige sächsische Dialekt waren ein Genuss. Zumal wir eine der wenigen Gäste waren und somit das Hotel und die Frühstücksterrasse gefühlt für uns alleine hatten – irgendein Vorteil muss Corona ja bieten.
Dresdens Altstadt ist einfach einmalig
Ich mache einen Blick ins Reisetagebuch: Nach einer sehr erholsamen ersten Nacht geht es aus dem Hotel raus, die Straße hoch und schon steht uns der schöne Albertplatz mit Kirche und zahlreichen Restaurants offen. Weiter, die Albertstraße hinunter, die mit weiteren einladenden Einkehrmöglichkeiten aufwartet bis zur Elb-Brücke. Von dort aus blicken wir gebannt auf die beeindruckende Dresdner „Skyline“ mit ihren nach Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wiederaufgebauten Sehenswürdigkeiten. Nach einer kurzen Besprechung gehts weiter mitten hinein ins Vergnügen. Der omnipräsente Friedrich August I., genannt „August der Schtoorke“, der die Stadt wie kein Zweiter prägte, ist kaum zu übersehen. Unter ihm errang Dresden durch den Dresdner Barock und den opulenten Hoffesten des Dresdner Hofes die kulturelle Bedeutung, die es bis heute hat.
Dann stehen wir auf einmal vor der riesigen Frauenkirche. Dank Corona darf ich mit meinen Begleitern als Erstes rein, bevor ein paar Minuten später alle anderen Besucher hereinkommen. Imposant, der Blick durchs Rund und an die Decke. Unweit der Frauenkirche lassen wir es uns danach im Eiscafé gut gehen. Danach gehts weiter übers Kopfsteinpflaster, das durch die gute Federung und die großen Reifen meines E-Rollstuhl erträglich ist. Wir fahren zum Zwinger und schließlich bis zur Semperoper. Dort gibt es leider momentan keine Konzerte, aber eine interessante Führung. Das freundliche Servicepersonal schickt uns über eine Rampe zu einem Seiteneingang.
Die Semperoper von Innen ist ein Muss
Die Führung übernimmt eine äußerst engagierte Mitarbeiterin, die sehr viel Rücksicht auf mich nimmt und immer wartet, bis ich in Position bin und freie Sicht habe. Einmal muss ich an einem kleinen Treppenübergang stehen bleiben und von dort aus ihren Worten lauschen. Regelmäßig schaut sie zu mir hinunter und spricht auch in meine Richtung. Die Frau hat wirklich verstanden, was eine inklusive Führung ist.
Die sehr schöne und empfehlenswerte Schlösser-Schifffahrt ist ebenfalls mit E-Rollstuhl möglich – falls man das richtige Schiff wählt. Am letzten Abend genießen wir noch mal den Albertplatz mit köstlichen Tapas und leckerem Rotwein. Am nächsten Morgen packen wir schon wieder zusammen und auf gehts zum großen Garten, der „Grünen Lunge“ Dresdens. Dort treffe ich meine beiden Assistenten, die mich nach Berlin weiterbegleiten. Ich kann die riesige Grünanlage jedenfalls wärmstens für alle RollstuhlfahrerInnen empfehlen.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Reisen während Corona ist keine Utopie-garantiert auch nicht in diesem Sommer.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Man kann Führungen von Sehenswürdigkeiten exklusiv oder inklusiv durchführen.
Für die Abreise ist alles klar und alles fertig gepackt, sodass
wir uns recht entspannt Richtung Bushaltestelle bewegen. Wir genießen noch mal
eine kurze Fahrt mit dem Bus durch die Straßen von Barcelona bei strahlender
Sonne und sind echt traurig, dass es schon wieder nach Hause geht. Dafür Läuft
alles nach Plan, wir sind super pünktlich am Bahnhof und wollen uns für den Einlade-
Service in den Zug anmelden. In dem Moment kommt eine Bahn-Mitarbeiterin
geradewegs auf uns zu und redet in spanischer Sprache vehement auf uns ein.
Eine Assistentin von mir, die gut spanisch spricht, verzieht das Gesicht und
sagt uns das Unvermeidliche: Die Frau hat uns gerade mitgeteilt, dass der Zug
ausfällt…!! Ich brauche einen Moment bis ich es realisiere und bin erst mal
kurz geschockt. Ich kann es nicht glauben, aber jetzt hat uns der Streik der
französischen Bahn doch noch erwischt, verdammter Mist 🙁 Wir werden ins Reisezentrum
der spanischen Bahn geschickt, wo man uns informieren will, wie es weitergeht. Meine
spanisch sprechende Assistenten macht einem Mitarbeiter deutlich, dass die Zeit
drängt. Da wir sicher den Anschlusszug in Paris verpassen werden, müssen wir
uns zumindest für eine weitere Nacht eine Unterkunft organisieren – in
Barcelona oder Paris. Wir warten eine gefühlte Ewigkeit und schauen gebannt auf
drei Bahnmitarbeiter hinter einem großen Bildschirm, die sich gerade wegen dem
Zugausfall die Köpfe heißreden.
Dann endlich kommt einer der Mitarbeiter auf uns zu und erklärt
uns, dass höchstwahrscheinlich zwei Stunden später ein weiterer TGV fährt. Mir
ist das zu unsicher und ich rufe meinen Vater an. Er hat einen französischen
Kollegen, der sich für die Kommunikation mit der französischen Bahn bestens
eignet. Die Antwort ist ernüchternd: Die französische Bahn kann nicht
bestätigen, dass heute ein weiterer TGV fährt und empfiehlt, erst zwei Tage
später zu fahren. Das ist schlicht unmöglich, da auch meine Assistentinnen mal
eine Pause brauchen und eigentlich schon verplant sind. Von der deutschen Bahn erfahren
wir ebenfalls, dass kein Zug mehr fährt. Wir sind bedient und am schlimmsten
ist die Ungewissheit.
der Stress hat Spuren hinterlassen 🙂
Aber es hilft ja nichts und wir bereiten uns auf den Ernstfall vor.
Bei der Unterkunft in Barcelona fragen wir an, ob wir theoretisch länger
bleiben können. Das würde gehen, aber wir präferieren eher die Lösung, eine
Nacht in Paris zu bleiben. Unsere Nerven sind ganz schön angespannt und wir
versuchen, uns vor dem Bahnhofsgebäude etwas abzulenken. Das gelingt nicht
wirklich gut und ich mache fast einen Unfall, indem ich eine hohe
Bordsteinkante übersehe und meinem Rollstuhl fast zum Umkippen bringe.
Ein
ungeplanter Zwischenstopp in Paris kann sich lohnen
Die Lösung mit Zwischenstopp in Paris ist zwar nicht ideal, aber
als wir die Gewissheit haben, dass der Zug tatsächlich fährt, sind wir sehr
erleichtert. Bleibt nur noch eine Sorge: Wo schlafe ich in Paris? Ich schreibe
meinem Papa eine Nachricht, dass uns der französische Kollege noch mal helfen
muss. Nach einer Stunde kommt die erlösende Nachricht: Ein Doppelzimmer ist für
uns reserviert im Holiday Inn, genau gegenüber vom Gare de l’Est. Das ist
sozusagen die Rettung, da ich am nächsten Tag sehr früh am Bahnhof sein muss. Dann
sind die Chancen höher, dass ich noch einen Rollstuhlplatz bekomme. Die Bahn kann
mir denselben für so eine kurze Vorlaufzeit leider nicht garantieren, sodass
ich einfach Glück haben muss.
In Paris dauert es noch ganz schön lange, bis ich ausgeladen werde,
aber sonst läuft alles ganz gut. Im Hotel lasse ich mich allerdings ziemlich
entkräftet ins Bett legen und setze mich nur für einen kleinen Snack noch mal
in meinen Rollstuhl. Mittlerweile sind wir wieder erstaunlich entspannt und
genießen die Aussicht aus unserer „Spontan-Residenz“ auf den Bahnhof. Plötzlich
klingelt mein Handy und mein Papa ist dran: „Wo seid ihr denn?“, Ich: „Naja, im
Holiday Inn“, mein Papa: „Schon klar, ich meine in welchem Stock, ich stehe
unten!“ Wie genial ist das denn, mein Papa ist öfter geschäftlich in Paris und
diese Woche ist natürlich Paris-Woche. Ein Teil der Familie trifft sich also
mal eben spontan in Paris 🙂 🙂 🙂 Wir haben ein „Riesen-Hallo“ und es gilt
natürlich nur ein Thema. Außerdem bekommen wir noch ein paar Insider-Tipps, auf
was wir am nächsten Morgen am Bahnhof achten sollen.
Da wir nur über die Straße müssen, sind wir am nächsten Morgen tatsächlich
überaus pünktlich im Bahnhofsgebäude. Da wir eine Bestätigung der spanischen Bahn
zu dem Zugausfall haben, läuft alles problemlos. Bei der Servicestelle für
Menschen mit Behinderung kümmert man sich sofort um uns. Wir bekommen sogar noch
einen Hinweis, wo ich mir die Unkosten für den Zwischenstopp lassen kann. Dann
bringt uns der gute Mann schon ans Gleis zum bereits wartenden Zug, das Ende
unserer Odysee nähert sich tatsächlich dem Ende. Nur der Zugführer scheint
etwas dagegen zu haben. Er hat ernste Bedenken, mich mitzunehmen, „da Sie ja in
Mannheim nicht mehr aussteigen können“. Er macht sich große Sorgen, dass sich
das Zugniveau zu weit
unterhalb vom Bahngleis befindet und ich die Schräge kaum überbrücken kann. Zum
Glück kann ich ihn beruhigen: „Das ist kein Problem, in Karlsruhe war die
Situation genauso und mein Rollstuhl hat es locker gepackt!“ Dann geht die
Fahrt los und wenige Stunden später ziemlich zu Hause.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Kühlen Kopf bewahren, wenn der Zug ausfällt! Irgendwie kommt man immer ans Ziel – auch im E-Rollstuhl
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Liebe Bahnangestellte: Lassen Sie am besten den E-Rollstuhlfahrer selbst entscheiden, wo er es sich zutraut, auszusteigen.
Was danach geschah:
Zuhause ließ ich die erlebten Eindrücke sacken. Eine Woche später arbeitete ich die ganze Sache auf und stellte einen Antrag bei der französischen Bahn, um die Unkosten durch den Streik ersetzt zu bekommen! Dann stellte ich einen Antrag beim Servicecenter Fahrgastrechte der Deutschen Bahn. Obwohl ich das PDF-Formular sehr sorgfältig ausfüllte und alle Kopien selbiger Tickets mit schickte, war die Antwort sehr ernüchternd. Das Servicecenter hatte jeweils nur die Zeitverzögerung der Einzelstrecken berücksichtigt und nicht die der Gesamtstrecke bzw. Gesamtreise, bei der die Zeitverzögerung bekanntermaßen einen Tag betrug!! Ich ärgerte mich aber nur kurz und beschloss, nicht aufzugeben. Ein Anruf beim Servicecenter fahrgastrechte brachte mir zwar nicht ein, aber ich bekam den Tipp, den Fall bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. einzureichen. Das zog zwar ein weiterer bürokratischer Akt nach sich, dafür würden sich jetzt Rechtsexperten damit befassen. Das Schlichtungsverfahren ist zwar kostenlos, man muss jedoch mit einer sehr langen Wartezeit rechnen. In meinem Fall hat sich das Warten mehr als gelohnt, da ich tatsächlich die Hälfte des Preises für die Rückfahrt gut geschrieben bekam.
Außerdem war
es mir ein Anliegen, der Deutschen Bahn ein Feedback zur Reiseorganisation zu
geben. Die Mobilitätszentrale leitete meine Anfrage an den Kundendialog weiter
und ich bekam tatsächlich eine sehr höfliche und sachdienliche Auskunft. Meine
Anmerkungen zur Verbesserung wurden dankend angenommen und es wurde mir versprochen,
dass die deutsche Bahn diese Defiziten verbessern möchte. Na dann mal schauen,
die nächste Reise folgt bestimmt… Zumindest ist es sehr erfreulich, dass Kritik
angehört und an Verbesserungen gearbeitet wird.
Der Strand von Barcelona darf auf keinen Fall bei meiner Reise
fehlen. Es ist ein würdiger Abschluss meines Aufenthalts. Nach dem Besuch im
Meerwasser-Aquarium sind wir bereits am Hafen von Barcelona. Wir bestaunen
einige Luxusyachten, vor allem diejenige mit Hubschrauberlandeplatz -verrückt
wie viel Luxus Mensch braucht… Dann lege ich noch einige 100 m am Hafen zurück,
irgendwann beginnt die Strandpromenade, an der zahlreiche Verkäufer Schmuck,
Tücher und sonstige Kleinigkeiten an den Mann bzw. die Frau bringen wollen. Um
schneller an den Sandstrand zu gelangen, nehmen wir eine Abkürzung durch ein kleines
Stadtviertel, in dem man die Meeresluft regelrecht einatmen kann … Wenig
später erblicken wir nur noch Sand und Meer. Über einen Weg aus Holzpaneelen
gelange ich auf dem Strand näher ans Meer. Ich fahre weiter bis ans Ende des
Weges und habe sofort nur noch einen Gedanken: Einmal möchte ich auf dem Sand
mit meinem E-Rollstuhl ein paar Pirouetten drehen.
Mithilfe meiner Assistentin fahre ich ganz vorsichtig den Absatz
von den Holzpaneelen herunter und stehe auf Sand. Mit ein bisschen Anschubhilfe
nehme ich Schwung auf und die Fahrt geht los. Es funktioniert erstaunlich gut
und am besten ist es, wenn ich nicht abstoppe. An einer Stelle, wo der Sand
etwas weicher ist, fahre ich eine Kurve und mache ein bisschen langsamer-eine schlechte
Kombination 🙂 ein Hinterrad meines Rollstuhls dreht durch. Aber mit vereinten
Kräften schaffen es meine Assistentinnen, dass der Rollstuhl weiterfährt. Nach
dem dritten Mal „Stecken Bleiben“ ist Schluss mit lustig!
Genug habe ich aber immer noch nicht und fahre weiter an der Strandpromenade
entlang, die jetzt wie eine topfebene Rennbahn vor mir liegt. Ich reize es voll
aus und mir wird witzigerweise genau jetzt das erste Mal bewusst, dass mein
Rollstuhl viel schneller läuft wie gedacht – ich bin begeistert. Scheinbar hat
es der Rollstuhlhersteller gut mit mir gemeint und die mögliche
Höchstgeschwindigkeit des Motors nicht gedrosselt. Ein paar Meter weiter
gelange ich dank einer breiten und nicht besonders steilen Rampe problemlos von
der Promenade bis auf den Sandstrand hinunter. An dieser Stelle ist es bis
direkt ans Meer geteert und ich genieße es in vollen Zügen. Kurz bevor wir den
Heimweg in Angriff nehmen wollen, treffe ich einen netten E-Rollstuhlfahrer aus
Belgien. Es stellt sich heraus, dass er dieselbe Erkrankung wie ich hat und um
einiges jünger ist. Als wir uns verabschieden, erzählt er mir noch von seinem
Stadionsbesuch beim FC Barcelona und ich bin ehrlich gesagt etwas neidisch.
Schade, dass ichdieses Highlight verpasst
habe. Allerdings bin ich noch ganz beschwingt von meiner Strand-Tour und freue
mich auf meinen letzten Barcelona-Abend.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Mit dem richtigen E-Rollstuhl ist auch die Fahrt auf Sand möglich. Für Risiken und Nebenwirkungen übernehme ich keine Verantwortung.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Die Strandpromenade und der Strand von Barcelona sucht dringend Nachahmer 🙂
In der Stadt gab es natürlich unzählige schöne Dinge und Unternehmungen, die wir zur Auswahl hatten. Von wunderschönen Gebäuden, über die berühmteste Promenade Barcelonas „Las Ramblas“ und den Strand bis hin zu vielen schönen Parks und Grünflächen mit musizierenden Menschen ist in dieser Stadt alles dabei. Dieses entspannte Flair inspirierte uns mehrmals zu einem gemütlichen Picknick und Chill-Out. Gut essen ist im Land der Paella ebenfalls überall möglich, unter anderem gibt es auch diverse rollstuhlgerechte Restaurants. Speziell am bedeutendsten Architekt Barcelonas, Antoni Gaudí , kamen wir nicht vorbei und das war auch gut so. Denn die von ihm maßgeblich geprägte Kirche Sagrada Familia ist schlichtweg atemberaubend und kaum in Worte zu fassen. Mehr interessante Infos zur Kathedrale und deren Besichtigung sowie weitere Details zur Erkundung von Barcelona erfahrt ihr übrigens in meinem Artikel der Zeitschrift „Gepflegt Durchatmen“, Ausgabe 45, Juli 2019.
An dieser Stelle möchte ich auf jeden Fall noch den wunderschönen Park de Güell, ein weiteres Meisterstück von Gaudí, erwähnen. Ein Muss für jeden Rollstuhlfahrer ist auch ein Ausflug mit dem Bus auf den Montjuïc, den Hausberg von Barcelona. Auf dem Gipfel befindet sich das Castell de Montjuïc, eine große Verteidigungsanlage aus dem 18. Jahrhundert, wo heute regelmäßig interessante Veranstaltungen stattfinden. Von hier genossen wir eine Traumaussicht auf den Hafen, das Meer und die Stadt.
Auch ein Besuch im botanischen Garten ist sehr zu empfehlen. Bei diesem Tipp darf eine kleine Anekdote, wie die Menschen in Barcelona touristischen Gästen aus dem Ausland das Leben vereinfachen, nicht fehlen. Bei unserem Besuch im botanischen Garten fahren wir erst mal zum falschen Eingang, nämlich zum Eingang des Instituts vom botanischen Garten in Barcelona. Um den langen Weg zum Haupteingang zu vermeiden, klingelt meine Schwester beim Pförtner. Sie nutzt ihre guten Spanischkenntnisse und redet zu unserem Vergnügen eindringlich auf ihn ein. Und siehe da: Das große Tor öffnet sich und er schleust uns quasi durch den „Hintereingang“ in den botanischen Garten. Wir feiern die Situation und sind bester Stimmung! Meine Schwester erklärt uns, dass der Mann es streng genommen nicht hätte machen dürfen, für uns aber ein Auge zugedrückt hat. Ganz nebenbei sparen wir uns noch den Eintritt 🙂
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Barcelona ist sehr rollstuhlgerecht und man kann fast alles auch mit dem E-Rollstuhl erleben.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Wenn du hier in Deutschland nicht weißt, wie du ausländischen Gästen unkonventionell und effektiv weiterhilfst, dann mache unbedingt einen Inspirations-Besuch in Barcelona!
Die dritte entscheidende
Frage der Barcelona-Reise betraf die Kosten. Mir war bewusst: Durch die
rollstuhlspezifische Unterkunft und die lange Zugreise würden einige Kosten auf
mich zukommen. Etwas Geburtstagsgeld und Unterstützung meiner Eltern haben das
Ganze erleichtert. Zudem habe ich für den Mehraufwand, der mir durch meine
Assistenz entsteht, finanzielle Unterstützung beim Sozialamt beantragt. Für die
meisten Assistenten ist es schwierig bis unmöglich mit mir im gleichen Raum zu
schlafen, da mein Beatmungsgerät deutlich hörbare Geräusche macht. Ohnehin ist es nötig, dass sie
auch einen Rückzugsraum haben. Deshalb bin ich bei Reisen auf eine Unterkunft
angewiesen ist, die mindestens zwei Schlafzimmer hat. Entscheidend für eine
Förderung ist die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Dies ist laut dem Gesetzgeber vor allem dann gegeben, wenn der
Antragsteller mit Behinderung Kontakte zu Menschen ohne Behinderung knüpfen
kann, neudeutsch könnte man auch Inklusion dazu sagen 🙂
Ich dachte nach, ob ich das ohne großen bürokratischen Aufwand begründen könnte: Mir fiel spontan ein, dass ich mich bei Unternehmungen in einer fremden Stadt nicht um Alltagsdinge wie Organisation der Assistenz, Bürokratie und Arbeit kümmern muss. Dadurch habe ich ganz einfach mehr Zeit und Möglichkeiten, Mitmenschen ohne Behinderung zu begegnen! Und wer in einer Großstadt unterwegs ist, bekommt automatisch Kontakt mit Menschen ohne Behinderung, d.h. er erlebt Inklusion! Und bei diesem Gedanken kam mir plötzlich ein Geistesblitz: Ich werde am Beispiel Barcelona schauen, welche Fortschritte bei der Inklusion in Spanien erreicht wurden und was wir in Deutschland davon lernen können. Langfristig -so meine Idee- kann ich durch den Input meiner Auslandserfahrungen dazu beitragen, die Inklusion bei uns vor Ort zu verbessern. Ich fragte nach bei Barcelona-Enabled, ob sie mein Vorhaben unterstützen würden. Und tatsächlich, der Verein stellte mir schließlich den Kontakt zur Selbsthilfeszene her. So konnte ich einmal einige Mitglieder des Kulturnetzwerks Barcelona im Zuge ihres regelmäßigen Stammtisches treffen. Dabei habe ich bemerkt, dass sehr viele Menschen ohne Behinderung bei diesem Netzwerk engagiert sind. Das Netzwerk kümmert sich intensiv um Inklusion und organisiert diesbezüglich einige Veranstaltungen und Treffen.
… meistens geht’s schwellenlos in die U-Bahn rein und raus
Ohnehin stellte ich bei der Erkundung der
Stadt eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung Barcelonas und einen großen
Wille zur Inklusion fest. Der öffentliche Nahverkehr ist dafür ein gutes
Beispiel. Das Busnetz ist gut ausgebaut und alle Busse sind rollstuhlgerecht.
Zudem gibt es recht viele U-Bahn-Stationen, die mit dem E-Rollstuhl nutzbar sind.
Die vielen flachen und glatten Wege im Zentrum machten es mir sehr angenehm,
die Stadt zu erkunden. Vor allem aber die Menschen sind äußerst
„inklusionsfähig“: Wir haben wirklich in jeder schwierigen Situation auf Anhieb
eine Person gefunden, die uns unkonventionell Hilfe anbot. Auch wenn die Mittel
in manchen Fällen etwas beschränkt waren. Aber wie sagt man so schön: Der Wille
zählt!
Dazu habe ich
folgende kleine Anekdote auf Lager: Schon zu Beginn meiner Reise nehme ich mir einen Ausflug auf
einen der wichtigsten Aussichtshügel Barcelonas, den Tibidabo, vor. Obwohl uns
keiner eine gescheite Verbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nennen
kann, ziehen wir los. Nach einer gefühlten Odyssee kommen wir endlich an eine
Bushaltestelle, von wo Busse zum Tibidabo hinauffahren. Als der Bus kommt, sind
wir aufgrund seines Rollstuhlsymbols sehr erfreut! Allerdings sehen wir im
nächsten Moment die Stufen in den Bus und die Hoffnung schwindet. Der Busfahrer
gibt uns zu verstehen, dass wir mitfahren sollen. Als ihm meine Schwester auf
Spanisch die Problematik schildert, lässt er immer noch nicht locker. Er will
uns inklusive mir unbedingt mitnehmen. Wahrscheinlich hätte er auch noch einige
starke Männer organisiert, um mich in den kleinen Bus zu hieven. Zwar schade,
dass der Ausflug ins Wasser fällt, aber trotzdem sind wir begeistert von dieser
bedingungslosen Hilfsbereitschaft.
… überall super angenehmer Untergrund für Rollstuhlfahrer
Soweit so
gut, kommen wir noch mal zum Beginn dieses Artikels und stellen uns folgende
Frage: Wieso ist ein Zuschuss für meine Reisen überhaupt an ganz spezielle
Bedingungen geknüpft und wieso reicht ein einfacher Nachweis des Mehraufwandes,
der offensichtlich ist, nicht aus. Zumal meine Reisen den Kopf frei machen,
neuen Input geben und mich für den Alltag mit neuer Energie aufladen. Ein Großteil
der Bürger Deutschlands hat weit weniger Hürden zu überwinden, wenn er eine
Reise machen will. Ich habe außerdem nicht die Möglichkeit, einfach so
kostengünstig wie möglich zu verreisen, weil bei mir als E-Rollstuhlfahrer eben
bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen. Leider laufe ich als
Sozialhilfeempfänger und unterliege deshalb bei der Förderung einer Reise sehr
strengen Maßstäben. Die Hintergründe und Diskussionen, wieso das so ist, würden
an dieser Stelle eindeutig zu weit führen und sind stark politisch geprägt.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Es hat sich gelohnt, die Inklusion in Barcelona intensiver zu begutachten-sie ist vorbildhaft.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Ämter oder andere finanzielle Unterstützungsstellen sollten Reisen für E-Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit Behinderung fördern und nicht unnötig erschweren-hier ist vor allem die Politik und die gesellschaftliche Denkweise gefragt!
Eine ganz entscheidende Frage für den Barcelona-Aufenthalt war die nach der richtigen Unterkunft. Bei der Suche danach habe ich es mir nicht leicht gemacht: Nach guten Erfahrungen mit airbnb-Wohnungen in London und Paris versuchte ich, dieses kostengünstige Modell auch für Barcelona zu wählen. Allerdings musste ich nach tagelanger erfolgloser Suche einsehen, dass es keinen Zweck hatte. Da Barcelona sehr eng bebaut ist, sind die Wohnungen alle eine Nummer kleiner als in Deutschland und in der Regel nicht für E-Rollstühle ausgelegt. Also griff ich letztlich doch auf die mir mehrfach empfohlene Apartment-Hotelanlage MIC Sant Jordi mit vollständig rollstuhlgerechten Ferienwohnungen, Kochmöglichkeit und direkter Anbindung an das U-Bahn-Netz zurück.
vor der Appartment-Anlage
Da vollumfängliche Barrierefreiheit immer
mehr kostet, wurde es leider etwas teurer, aber im Nachhinein war es ein echter
Glücksgriff. Vor allem meine ReisebegleiterInnen waren ziemlich begeistert, da
es für sie ein separates Assistenzzimmer mit Bad gab. Für mich stand ein
elektrisch verstellbares Pflegebett bereit, was meiner Assistenz sehr zugute kam.
Bislang hieß es immer eine Woche Rücken strapazieren wegen viel zu niedrigen
airbnb- und Hotelbetten. Außerdem war das Apartment sehr geräumig, sodass sogar
noch ein guter Kumpel von mir bei uns wohnen konnte, der seinen Kostenanteil
übernahm.
Wohn- und Essbereich
Es war jeden Abend ein schönes Gefühl, in die Unterkunft zurückzukommen. Dort bekamen wir freundlich über alles Notwendige Auskunft inklusive Freizeittipps und es war problemlos möglich, Wäsche zu waschen. Gebucht habe ich das ganze sehr unkompliziert über die Organisation Barcelona-Enabled, die Menschen mit Behinderung bei der Planung und Durchführung ihres Aufenthalts in Barcelona unterstützt. Meine Fragen stellte ich per E-Mail und ließ mal wieder wie immer kein Detail aus. Trotzdem bekam ich jede Frage schnell und kompetent beantwortet.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Eine speziell rollstuhlgerecht ausgestattete Ferienwohnung ist eine tolle Sache.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Lass einen E-Rollstuhlfahrer so viele Fragen zur Unterkunft stellen wie er möchte: Denn er ist darauf angewiesen und außerdem gibt es sowieso keine blöden Fragen!
Wer
träumt nicht von der katalanischen Perle Barcelona? Spätestens nach der
folgenden kleinen Serie über die tolle Stadt am Mittelmeer, sollten dies
zumindest alle Rollstuhl- und E-Rollstuhlfahrer dieser Welt tun. Aber
eigentlich auch alle anderen 🙂
Im
dritten Anlauf hat es endlich geklappt! Nachdem ich schon zweimal nach
Barcelona wollte und es entweder zu kompliziert oder zu teuer war, haben ich
und meine wunderbaren Reiseassistenten diesmal alle Widerstände aus dem Weg
geräumt.
Die erste entscheidende Frage, wie ich nach Barcelona komme,
hatte ich für mich schon länger beantwortet, nämlich mit dem Zug. Eigentlich
verrückt, aber mit einem Rollstuhl, der hypersensible Elektronik an Bord hat,
eine Flugreise zu machen, klingt für mich noch viel verrückter. Erst recht wenn
man nach über zwei Jahren Vorarbeit einen neuen E-Rollstuhl fahren darf, der
einem das Leben auf allen Ebenen immens erleichtert! Das Problem beim Fliegen ist,
dass man irgendwann den Rollstuhl verlassen muss und dessen Schicksal in fremde
Hände legt. Bei einer persönlichen Lebensversicherung, wie es mein Rollstuhl
für mich ist, überlegt man sich das dreimal.
… los geht’s in Karlsruhe!
Angemeldet
habe ich die komplette Bahnfahrt wie immer über die Mobilitätszentrale der
Deutschen Bahn inklusive Ticketbuchung. Dabei hat es sich gerade bei dieser langen
und komplexen Reisestrecke als großes Plus erwiesen, alles per E-Mail
abzuwickeln. Dies hat den Vorteil, dass die Anfrage gleich eine/r der fähigsten
MitarbeiterInnen beantwortet. Die Tücken einer transeuropäischen Bahnreise
blieben mir allerdings nicht erspart – nach meiner Reise war mir zumindest
vollkommen klar, wieso EU-Politik und -Kommunikation so schwierig ist!
Dazu folgende Anekdote: Bei der Reiseplanung finde ich
heraus, dass ich dieses Mal TGV fahren
werde und das Modell TGV Euro Duplex rollstuhlgerecht ist. Dieser verkehrt auf der Strecke
Mannheim-Paris und ich bekomme die solide Auskunft, dass mein Rollstuhl maximal
75 cm breit sein darf und es einen geeigneten zuggebundenen Hublift gibt. Für
den weit längeren Abschnitt Paris-Barcelona ist keine Aussage mehr drin: „Also
dafür ist die französische Bahn zuständig, wir wissen nicht, welche Züge auf
dieser Strecke verkehren.“ Eigentlich dachte ich immer, wer Tickets verkauft, sollte
auch wissen, ob die zugehörigen Züge rollstuhlgerecht sind. Mal wieder ist Eigeninitiative
gefragt und nach einer längeren Recherche bin ich mir zu 90 % sicher, dass der
TGV Euro Duplex nach Barcelona fährt. Also alles gut!? Scheinbar, denn 2 Wochen
vor der Abreise bekomme ich die Auskunft der Deutschen Bahn, das der Bahnhof
Barcelona die Ausstiegshilfe abgelehnt hat. Den Vogel schießt freilich die
Aussage der Bahnmitarbeiterin Art: „Fahren Sie doch einfach nur bis Frankreich.“
Ihr anderer überaus erbauender Vorschlag, alles auf einen anderen Tag
umzubuchen ohne Garantie, dass es dann eine Zusage gibt, kommt ebenfalls nicht
infrage. Ich koche innerlich, aber es ist mir auch relativ schnell klar: Bei so
einem großen internationalen Bahnhof ist es kaum vorstellbar, dass ich nicht
ausgeladen werde und außerdem muss ich so oder so raus aus dem Zug. Kann ja schließlich nicht darin übernachten… 🙂
Liegen auf dem Lamzac im TGV
Nach Absprache mit meinen Assistenten für die Hinfahrt steht fest:
Wir ziehen das Ding durch! Und das, obwohl meine Begleiter für den Abschnitt
nach Barcelona ihre zugewiesenen Plätze auch noch in anderen Waggons haben… Aber
das war schon mal so und wir haben wieder Glück, dass neben meinem
Rollstuhlplatz genug Sitzplätze frei bleiben. Zudem habe ich die „Rollstuhlbucht“
für mich alleine und kann mich sogar hinlegen. Für die überaus netten
Zugbegleiter und ein Pärchen mit Kinderwagen ist das kein Problem. Bezüglich
Ausstieg können wir uns auf Englisch ganz gut mit ihnen verständigen. Wir erfahren,
dass sie im Notfall den TGV-Lift bedienen können und wir haben erst mal eine
Sorge weniger. In Barcelona wartet aber ohnehin bereits ein netter
Bahnhofsmitarbeiter und hilft uns beim Ausstieg! So viel zur Kommunikation im
europäischen Fernverkehr.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Mit dem Zug kommst du fast überall hin, du musst es nur wollen.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Beim transeuropäischen Fernverkehr sollte die Deutsche Bahn ihre Kunden im E-Rollstuhl besser und zielsicherer informieren. Dafür ist zukünftig aber etwas mehr Engagement und Sensibilität nötig!
Fotos: Florian Müller und privat
Für
alle, die sich für eine Zugreise mit dem E-Rollstuhl nach Barcelona
interessieren, habe ich noch ein paar Links aufgeführt. Bei Rückfragen könnt
ihr mir auch gerne eine E-Mail schreiben.
Ich fahre schon während der Zugabe aus dem Saal, um später nicht in den Menschenmassen steckenzubleiben. Draußen im Foyer fahre ich Richtung Eingang und postiere mich an einer geschickten Stelle, wo ich möglichst nicht im Weg stehe. Meine Assistentin holt unsere Jacken und zieht mich an. Ihre Kollegin, die heute bei mir Nachtdienst hat und sie ablöst, steht schon bereit. Jetzt müssen wir nur noch warten, bis der freundliche Mitarbeiter von vorhin den Aufzug holt. Zum Glück nehmen wir dieses Mal die Lastenhebebühne, die außen am Gebäude hoch- und runterfährt. Die Ladefläche ist schön groß und ich habe nicht jeden Moment Angst, runterzustürzen. Außerdem befindet sich die Plattform der Hebebühne nur wenige Meter neben dem Taxistand, wo mein Abholservice bereits wartet. Da ich mittlerweile ziemlich schief im Rollstuhl sitze und Gefahr laufe, während der Fahrt den Berührungssensor auf meinem Rollstuhltisch neben der Steuerung auszulösen, lasse ich diesen mit einem kleinen Schalter seitlich am Rollstuhl ausschalten. Ziemlich blöd ist, dass man nicht erkennt, falls der Sensor ausgeschaltet ist. Zudem handelt es sich um eine neue Funktion, die meine Helfer noch nicht automatisiert haben. Deshalb kommt es wie es kommen musste: der Sensor ist immer noch aktiviert, was ich nicht ahne. Der Rollstuhl macht genau das, was ich nicht will und beschert mir um ein Haar einen gebrochenen Fuß.
Ominöser roter Schalter
Steuerknüppel und silberner Berührungssensor
Die Neigung meines Rollstuhlsitzes fährt plötzlich von alleine immer weiter hoch und meinen linken Fuß, der an der Ferse etwas mit der Fußstütze verklemmt ist, biegt es mit einer gefühlten gigantischen Kraft immer weiter nach unten. Bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann, schießt Panik in mir hoch und ich rufe nur verzweifelt: „Mein Fuß, mein Fuß, oh nein mein Fuß…!“ Hätte ich den Rollstuhl einfach schnell ausschalten lassen, wäre vielleicht nichts passiert. Aber das sagt sich hinterher immer leicht. Nach ein paar Sekunden des Schocks lasse ich meinen linken Fuß, der unter einer großen Spannung verklemmt ist, nach vorne ziehen. Zum Glück funktioniert das relativ problemlos und dank meines hohen Adrenalinpegels verspüre ich keine allzu großen Schmerzen. Natürlich pocht der Fuß wie wild… Das in diesem Moment viel größere Problem ist, dass ich komplett nach oben geneigt bin, mein Kopf etwas nach hinten hängt und ich keine Chance mehr habe, an meinen Steuerknüppel zu kommen. Es hilft alles nichts, nun muss meine Assistentin mit meinem Steuerknüppel durch das Menü meiner Rollstuhlsteuerung navigieren. Das ist alles andere als einfach, da die Steuerung auf meinen persönlichen Kraftverhältnisse ausgelegt ist und jeder andere dafür viel zu viel Kraft hat. Nach einigen Fehlversuchen klappt es endlich und mein Rollstuhlsitz fährt wieder nach unten. Nun bin ich abfahrbereit und atme trotz der unangenehmen Begleiterscheinungen tief durch.
Unser Glück ist, dass die Taxifahrerin sehr geduldig wartet, während sich in ihrem Taxi ein mehr oder weniger übliches Neujahrs-Drama abspielt. Andere Fahrer wären vielleicht panisch geworden und hätten irgendwann rumgenervt, dass sie aber nicht mehr den ganzen Abend Zeit hätten. Die Fahrerin frägt mich, ob sie nicht gleich ins Krankenhaus fahren soll, aber ich lehne sofort ab. Da ich schon relativ lange im Rollstuhl sitze, wären mir geschätzte weitere 3 Stunden definitiv zu viel des Guten. Natürlich hoffte ich insgeheim, dass es nicht ganz so schlimm ist und ich noch einmal um einen Krankenhaus-Besuch herumkomme. Als ich im Bett liege und den Schuh ausgezogen habe, fühlt es sich sogar relativ gut an. Zum Glück hat meine Assistentin kleine Kinder und daher für Notfälle alles Zuhause: Fiebersaft, Schmerzsalbe und Kühlpacks. Wir cremen den Fuß ein, wickeln einen Verband darum und legen ein Kühlpack darauf. Zunächst fühlt sich das sehr gut an und ich gebe meiner anderen Assistentin und Konzert-Begleiterin erste Entwarnung. Später entwickelt sich aber ein ziemlicher Schmerz, was mich angesichts der irrsinnigen Kräfte, die auf meinen Fuß gewirkt haben, eigentlich nicht wirklich wundert. Irgendwann geht es nicht mehr anders und ich greife zum Schmerzmittel, aber die Nacht verläuft trotzdem nicht sehr angenehm. Am nächsten Morgen ist der Fuß ziemlich blau und jede falsche Bewegung tut weh. Meine Assistentin fleht mich förmlich an, die Sache im Krankenhaus abklären zu lassen. Zähneknirschend stimme ich zu.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Mein E-Rollstuhl birgt ein unkalkulierbares Gefahrenpotenzial in sich.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Mit etwas Geduld und Fingerspitzengefühl kann man eine große Hilfe sein.
Wie könnte ich das neue Jahr besser beginnen als mit einem klassischen Konzert: Es ist das Neujahrskonzert in der Heidelberger Stadthalle mit den Heidelberger Philharmonikern und zwei Heidelberger Top-Solistinnen als Hauptprotagonisten. Wie durch ein kleines Wunder bin ich dieses Mal richtig gut in der Zeit und fahre ganz entspannt mit dem Taxi zur Stadthalle. Am Seiteneingang für Rollstuhlfahrer klingeln wir und warten keine zwei Minuten, bis ein äußerst höflicher Mann im Anzug erscheint und uns freundlich begrüßt. Soviel Glück hat der Rollstuhlfahrer bzw. die Rollstuhlfahrerin leider nicht immer. Ohne größere Probleme fahre ich auf den großen Treppenlift, den ich aber nicht besonders gern mag. Er hat zwei große stählerne Schwenkarme, die elektrisch nach unten klappen, sobald ich auf der Plattform stehe. Meine große Sorge ist dann immer, dass entweder der Menübildschirm meines Rollstuhles zertrümmert wird oder mein Beatmungsgerät etwas abbekommt. Diesmal geht alles gut, ich muss zwischendurch lediglich den Atem anhalten, als der Lift kurz hintereinander zweimal stoppt.
Oben angekommen schnaufe ich erst einmal erleichtert durch. Aber jetzt wird es erst recht stressig: Ich lasse mich richtig in den Rollstuhl ziehen und meine rechte Hand verrutscht natürlich völlig. Bis wieder alles stimmt und mein Rollstuhl endlich anspringt, vergeht sehr viel Zeit, zu viel Zeit!! Es ist wie so oft reine Nerven-Sache! Durch meine äußerst sensible Rollstuhl-Steuerung entstehen häufig diverse Probleme. Zum Beispiel dass ich durch eine leichte Berührung ungewollt auf den Steuerknüppel drücke und der Rollstuhl eine Fehlermeldung produziert. Soweit so gut, nachdem ich also endlich wieder in der Senkrechten und somit startklar bin, fahre ich so schnell wie möglich an meinen Sitzplatz. Wobei nur meine Assistentin einen festen Platz hat. Es ist als Rollstuhlfahrer ein großes Privileg, dass man quasi freie Platzwahl hat und sich einfach überall hinstellen kann. Fluchtwege sollte man allerdings tunlichst meiden.
In der Pause gibt es einen Neujahrs-Umtrunk mit Champagner für die Konzertgäste. Mir ist es allerdings viel zu stressig, ins Foyer zu fahren, wo sich die Menschen dicht an dicht drängen und ein hoher Lärmpegel herrscht. Unter solchen Voraussetzungen ist es mir nahezu unmöglich, mich angemessen mit meiner Assistenz, geschweige denn mit anderen Mitmenschen zu unterhalten. Meine kleine Hoffnung, dass meine Assistentin ein Gläschen direkt an meinen Platz bringen kann, macht einer der Saal-Ordner zunichte. Klar, da könnte ja jeder kommen und die vorgeschriebene Ordnung zerstören. Das geht natürlich nicht, ist außerhalb des Protokolls!! Selbstverständlich hätte ich auch bis zum Ausgangs des Saales fahren können, mir geht es ja nicht um irgendwelche Sonderstellungen. Aber es ist einfach so schön exemplarisch für deutsche Bürokratie und Unflexibilität. Wäre der Ordner etwas offener und sensibler gewesen, hätte er vielleicht sogar eine Ausnahme gemacht. Ich muss über die Sache schmunzeln, zumal der Champus laut meiner Assistentin nicht gerade der Hammer war.
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Es wird stressig, wenn einem der E-Rollstuhl nicht gehorcht.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Menschen müssen auch mal von ihrem festen Protokoll abweichen können – das ist cool!
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