Assistenz im Krankenhaus – die unendliche Geschichte

Den 49. MAIK-Onlinetalk mit dem Titel „Assistenz im Krankenhaus – eine Mogelpackung? Viele Betroffene fühlen sich weiterhin allein gelassen“ am 27.10.2021 (Link zur gesamten Aufzeichnung) werde ich so schnell nicht vergessen. Nicht nur weil ich diesen Talk maßgeblich mitorganisiert habe, sondern weil er mich sehr motiviert und mir wieder mal gezeigt hat, was durch Vernetzung alles möglich ist. Die Lobby von Menschen mit Behinderung ist zwar nicht sehr groß, aber zusammen sind wir eine starke Gemeinschaft und können selbstbewusst für unsere Rechte eintreten und bekommen dafür viel Unterstützung und diverse Plattformen. Der Münchner außerklinische Intensiv Kongress (MAIK) ist eine solche. Wo normalerweise viele Menschen mit Beatmung, Ärzte und Therapeuten zusammenkommen, finden dieses Jahr aufgrund der Pandemie zum zweiten Mal verschiedene Onlinevorträge und  -diskussionen statt. Das hat den großen Vorteil, dass mehr Menschen teilnehmen können, auch weil der Zeit- und Reiseaufwand für viele von uns mit Beatmungsgerät enorm ist und dadurch entfällt.

Netzwerken und gegenseitige Unterstützung als Schlüssel

So hatte ich das Glück, Ottmar Miles-Paul, der die Selbstbestimmt Leben-Bewegung wie kein Zweiter geprägt und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) mitbegründet hat und heute unter anderem Sprecher der Liga Selbstvertretung ist, für diesen Talk zu gewinnen. Genauso wie seine Mitstreiterin Dinah Radtke, die ebenso große Verdienste um die Selbstbestimmt Leben-Bewegung hat sowie um die Rolle von Frauen mit Behinderung in der UN-Behindertenrechtskonvention.

Zu Beginn gab Uwe Frevert, Geschäftsführer der EUTB® von Selbstbestimmt Leben in Nordhessen (SliN e.V.) und langjähriges Vorstandsmitglied im Bundesverband der Zentren für selbstbestimmtes Leben (ZsL®) der ISL e.V. ist, einen Einblick in die rechtlichen Hintergründe der Gesetzgebung zur Assistenz im Krankenhaus. Uwe Frevert hat selbst seit 60 Jahren Erfahrung im Leben mit mechanischer Beatmung und 1988 einen großen internationalen Kongress in München zum Thema organisiert.

Bislang war die Situation so, dass lediglich AssistenznehmerInnen, die ihre Assistenz über das Arbeitgebermodell sicherstellen und selbst Arbeitgeber sind, ihre Assistenzleistung während eines Krankenhausaufenthaltes weiter erhalten. Für AssistenznehmerInnen, die wie ich über einen ambulanten Pflegedienst ihre Assistenz in Anspruch nehmen, gilt das nicht. Obwohl wir darauf genauso angewiesen sind. Diese Gesetzeslage wurde nun verbessert, wobei außerklinisch bzw. ambulant versorgte Menschen wie ich mit hohem spezifischen Assistenzbedarf wie zum Beispiel Beatmungspflege immer noch außen vor sind. Das ist sehr frustrierend, da gerade Vertreter dieser Menschen explizit dafür gekämpft hatten. Das vom derzeitigen Bundesbehindertenbeauftragten angekündigte Evaluationsverfahren, um zu sehen, was in der Gesetzesvorlage noch verbessert werden müsse, kann man sich getrost sparen, zumal das Gesetz erst in einem Jahr in Kraft tritt. Denn die Defizite und notwendigen Veränderungen liegen auf der Hand. Den Behindertenbeauftragten Jürgen Dusel und den Bundesrat möchte ich von meiner deutlichen Kritik ausnehmen, da sich beide genau über die Lücken der Vorlage im Klaren sind und überhaupt erst ermöglicht haben, dass überhaupt etwas gesetzlich geregelt wird.

Aufgeben gilt nicht!

Aber Aufgeben ist ein schlechter Berater, denn eine gescheite Regelung kann lebensnotwendig sein. Ich erinnere mich nur zu gut an den November 2019, als ich mich viel zu spät mit einer schweren Lungenentzündung in die Klinik einliefern habe lassen. Die Folge war, dass ich ums Überleben kämpfen musste. Wieso hatte ich es soweit kommen lassen? Einer die Hauptgründe war, dass nicht gesichert war, ob ich meine Assistenz würde mitnehmen können. Meine Assistenz, die mich so gut kennt, in den Handreichungen und im Handling total eingespielt mit mir ist und weiß, was ich in diesem oder jenem Moment gerade benötige und was richtig ist. Bei meiner Erkrankung Muskeldystrophie Duchenne kommt es in erster Linie nicht auf Fachwissen, sondern auf monate- und jahrelange Erfahrung und Automatisierung von Abläufen an. Die meisten AssistentInnen kennen mich besser wie manch FreundIn oder Familienmitglied. Da entsteht Vertrauen, das in körperlichen und psychischen Grenzsituationen absolut unverzichtbar ist. Wenn ich dann aus einer perfekt organisierten Umgebung in eine „fremde noch unorganisierte Umgebung“ komme, habe ich erst mal ein riesiges Problem, es sei denn meine wichtigsten Assistenz- und Vertrauenspersonen sind mit dabei. Ich konnte letztendlich dank einer Einzelfallentscheidung zwar für eine gewisse Zeit am Tag meine Assistenz in Anspruch nehmen, aber dafür waren zu viel unmenschlichen Hürden zu überspringen, unter anderem einige nervenaufreibende Gespräche mit dem Kostenträger seitens meiner Familie.

Das Statement von Ottmar Miles-Paul (Video Minute 1:17-1:31) sprach mir und den anderen ZuhörerInnen aus der Seele. Gleichzeitig war es Auftrag, sich gerade jetzt, da gerade Koalitionsverhandlungen stattfinden, mit aller Macht an die Politik zu wenden. Jetzt könne man sich, so Miles-Paul, rechtzeitig in Erinnerung rufen, denn wenn ein Koalitionsvertrag einmal stehe, sei der Spielraum nicht mehr groß. Die PolitikerInnen könnten sich dann immer auf das Papier berufen, egal wie prekär die Situation sei.

Und was war der Tipp des Koordinators einiger behindertenpolitischer Aktionen, wie wir am besten vorgehen sollten? Das wichtigsten sei Miles-Paul zufolge, dass die PolitikerInnen ein konkretes Bild von den realen Alltagsproblemen im Kopf haben. Die ganzen gesetzlichen kleinteiligen und nicht auf Anhieb verständlichen Paragrafen seien zunächst zweitrangig. Wir sollten unbedingt mit drastischen Worten beschreiben, was es heißt, ohne Assistenz ins Krankenhaus zu müssen oder ohne zu wissen, dass sie gewährt wird. Sehr prägnant fand ich auch das Bild des Rucksacks, den es zu packen gelte, mit allen Dingen, die wir bezüglich Assistenz im Krankenhaus benötigen. Er gab auch den Tipp, mit diesem Rucksack zur Krankenkasse zu gehen, um im Vorfeld schon klarzumachen, was es im Bedarfsfall brauche und was für eine Lösungsmöglichkeit im Ernstfall bestehe.

Gemeint ist hier, dass im Rahmen des Teilhabeplanverfahren des Bundesteilhabegesetzes, also den §§19 bis 23 im SGB IX seit 2018, unbedingt ein Auftrag an den zuständigen Kostenträger vermerkt werden sollte, dass im Fall des Krankenhausaufenthaltes ein außerordentlicher Bedarf an persönlicher Assistenz besteht.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Jammern hilft nicht und gemeinsam sind wir stark-gehen wir es an!!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Vielen Politikern würde es sehr gut zu Gesicht stehen, sich mit den Alltags Sorgen und -problemen zu beschäftigen und sie damit nicht allein zu lassen.

Für alle, die sich noch mehr informieren und tiefer in die Materie einsteigen möchten, habe ich in den folgenden Passagen die wichtigsten Infos zusammengetragen:

Die neue Gesetzesvorlage sieht vor, dass bei Mitaufnahme von Begleitpersonen aus dem privaten Umfeld die Gesetzliche Krankenversicherung die gegebenenfalls anfallenden Entgeltersatzleistungen (§ 44b SGB V) übernimmt. Bei Begleitung durch vertraute Mitarbeiter*innen der Eingliederungshilfe werden die Personalkosten von den für die Eingliederungshilfe zuständigen Trägern (früher „Heime“ genannt) übernommen (§ 113 Abs. 6 SGB IX). Voraussetzung ist in beiden Fällen, dass die zu begleitende Person grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe hat. Die pflegerische Leistung bleibt weiterhin Aufgabe des Krankenhauspersonals.

Uwe Frevert sprach im Vortrag noch weitere Defizite der Gesetzesvorlage an und inwiefern diese verbessert werden muss. Menschen, die wie ich körperlich stark eingeschränkt sind, bekommen nur Assistenz, wenn sie Eingliederungshilfe, aber entscheidender noch, wenn sie einen weiteren Hilfebedarf benötigen: Dieser Hilfebedarf umfasst Leistungen zur Verständigung und zur Unterstützung im Umgang mit Belastungssituationen als nichtmedizinische Nebenleistungen zur stationären Krankenhausbehandlung. Genaueres geht aus der Bundesdrucksache 19/31069 zu §113 (6) SGB IX hervor:

Insbesondere Menschen mit geistigen Behinderungen, die behinderungsbedingt nicht die für die Behandlung erforderliche Mitwirkung erbringen können bzw. ihre stark ausgeprägten Ängste und Zwänge oder ihr Verhalten behinderungsbedingt nicht kontrollieren können oder Menschen mit seelischen Behinderungen, die vor allem durch schwere Angst- oder Zwangsstörungen beeinträchtigt sind.

Menschen, die keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben und in einem Pflegeheim leben, werden im Übrigen ebenfalls nicht berücksichtigt, auch wenn sich ihr Bedarf z.B. aus der Demenz ergibt. Und Angehörige von Menschen in der außerklinischen Intensivpflege bzw. Beatmungspflege nach § 37c SGB V haben keinen Anspruch auf Krankengeld bei Mitaufnahme ins Krankenhaus, obwohl sie z.B. bei der Beatmungspflege besonders auf personenbezogene Assistenz angewiesen sind.

Ein überraschend angenehmer Krankenhausbesuch

Meine Helferin findet nach kurzer Recherche die Telefonnummer der chirurgischen Ambulanz der Uniklinik Heidelberg heraus. Ich habe gleich jemand am Apparat und frage, ob viel los sei. Die Anmeldedame der Notfall-Ambulanz gibt leichte Entwarnung und sagt, dass wir einfach vorbeikommen sollen. Ich beiße auf die Zähne und lasse mich aus dem Bett heben, das ich heute schon ziemlich lange gehütet habe. Dort ist die Gefahr am geringsten, dass ich meinen Fuß einer größeren Belastung aussetze und etwas weh tut. Schuhe kann ich ohnehin nicht anziehen, was aber das geringste Problem ist. Ich lege ein Schaumstoffpolster auf die Fußstütze und decke den Fuß im dicken Socken mit einem Handtuch zu. Es geht besser als ich erwartet habe und wenig später fährt mich dieselbe Taxifahrerin wie Tags zuvor in die Ambulanz. Dann kann ich plötzlich meine Versicherungskarte nicht mehr finden, aber zum Glück habe ich noch einen Befreiungsausweis bei mir. Ich warte zu meiner großen Freude keine 10 Minuten und gebe der diensthabenden Krankenschwester Auskunft über meinen Unfall. Sie zieht den Socken aus und betastet sehr sorgfältig meinen Fuß. Ich bin erleichtert, dass sie nicht grob ist und zudem sehr unaufgeregt agiert. Erste heikle Hürde überstanden, denke ich mir und bin für die weitere Prozedur etwas zuversichtlicher.

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IMG_1286[1]Dann holt sie den zuständigen Arzt, der ziemlich nett und entspannt ist. Er ist noch relativ jung und hört sich meine Geschichte in aller Ruhe an. Auch er ist sehr, sehr vorsichtig und sieht die Sache nicht so kritisch, wie ich befürchtet habe. Auf jeden Fall muss ich aber den Fuß röntgen lassen, worauf ich am wenigsten Lust habe. Rauf auf eine äußerst harte Liege und wahrscheinlich ziemlich schmerzhaft für meinen Fuß… Die Röntgen-Frau ist ebenfalls ziemlich nett und meint, dass es klappen könnte, meinen Fuß im Sitzen zu röntgen. Ich bin begeistert! Neben mir im Schrank sehe ich ziemlich viel Lagerungsmaterial und die Frau versucht alles, meinen Fuß von allen Seiten möglichst schmerzfrei unter die Lupe zu nehmen. Mit ein bisschen Geduld bekommt sie die benötigten Bilder hin. Ich bin äußerst froh, dass alles im Sitzen über die Bühne geht und muss nur ab und zu ein wenig auf die Zähne beißstock-photo-27765440-happy-doctor-cartoonu14296860en.

 

 

 

 

 

Nun warten wir darauf, wie die Diagnose des Arztes ausfällt und meine Spannung steigt merklich. Dann geht endlich die Türe auf und der Arzt kommt herein. Es ist nichts gebrochen und ich atme innerlich erleichtert auf. Ein Gips hätte mir wirklich gerade noch gefehlt. Aber mit meiner diagnostizierten Prellung werde ich auch noch ein Weilchen meine Freunde haben, da mir die Bewegung fehlt und der Heilungsprozess dadurch länger dauert. Aber das ist jetzt erst mal nebensächlich. Er frägt mich, ob ich schon mal so einen ähnlichen Unfall hatte und ich bejahe. Auf dem Röntgenbild ist tatsächlich noch eine alte Fraktur zu erkennen. Ich muss unwillkürlich grinsen und erinnere mich nur zu gut, dass ich damals vor 5 Jahren nicht einmal zum Arzt gegangen bin. Auch diesmal hätte ich es mir im Prinzip sparen können, da der Arzt lediglich Schmerzmittel verschreibt. Aber es ist schon gut, dass ich jetzt 100-prozentig sicher bin, den Fuß nicht gebrochen zu haben! Erstaunlich gut gelaunt lasse ich mich mit dem Taxi nach Hause chauffieren.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Füße von E-Rollstuhlfahrern können auch im Sitzen geröntgt werden.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Es ist sehr wohltuend, wenn Ärzte und Klinikmitarbeiter nett und sensibel sind.

Mit netten Ärztinnen ist alles möglich

Ich fahre mit dem Taxibus zu einem meiner seltenen Arzttermine. Diesmal ist es eine Zahnreinigung. Meine Zahnärztin hat mich dafür extra in eine Zahnklinik geschickt, weil „die sich da so gut auskennen, gerade wenn es sich um einen schwerbehinderten Patienten handelt, der nur im seinem Rollstuhl behandelt werden kann. Ich habe dennoch auf der Hinfahrt etwas Bedenken, da es beim Zahnarzt grundsätzlich etwas kompliziert ist. Der Schlauch des Atemgerätes ist im Weg und ich bekomme meinen Mund nicht so weit auf.

Als ich ankomme, scheint sich mein ungutes Gefühl zu bestätigen: Einen Fall wie mich hätten sie ja noch nie behandelt, sagt mir die Dame an der Anmeldung. Das bestätigt auch die Arzthelferin, die von Tuten und Blasen ja mal gar keine Ahnung hat.

Dann kommt die Ärztin und ich bin froh, dass ich alles bald hinter mir habe. Eine sehr nette Ärztin, total freundlich, strahlt Ruhe aus und hört sich genau an, um was es geht. Sie bestätigt zwar ebenso, dass sie so jemand wie mich noch nie behandelt hat, sieht aber keine größeren Schwierigkeiten. Natürlich ist es für die Ärztin nicht so einfach, da sie durch meine geringe Mundöffnung die hinteren Backenzähne nicht sieht. Aber was sie sieht, findet sie sehr gut. Gott sei Dank habe ich schon immer sehr gute Zähne gehabt. Die Reinigung dauert deshalb nicht besonders lange. Ich werde auch fast nicht nass, obwohl mich die Ärztin vorsorglich mit zwei riesigen Decken abgedeckt hat.

Als alles vorbei ist, bin ich dennoch erleichtert. Es ist auch ein Verdienst der Ärztin, dass alles problemlos gelaufen ist: Sie erklärt mir alles ganz genau, ist sehr vorsichtig und geht sehr professionell vor. Am Ende will sie noch genau wissen, wie das bei meinem Rollstuhl alles funktioniert und zeigt sich beeindruckt von meinem Handwärmer. Erleichtert und zufrieden fahre ich wieder nach Hause.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Eine Zahnreinigung ist auch mit Beatmungsgerät möglich!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Ärzte brauchen vor allem im Umgang mit Behinderten Patienten Fingerspitzengefühl.