3) Wo bleibt der Blick aufs Positive?

Die Lockerungen sind bei vielen Menschen bereits voll im Alltagsleben integriert. Für alle Bundesländer gemeinsam gilt unter anderem: Alle Geschäfte dürfen seit letzter Woche wieder öffnen, Angehörige aus zwei Haushalten dürfen sich ab sofort wieder treffen und die Fußball-Bundesliga läuft wieder. Weitere Entscheidungen zur Umsetzung von Lockerungen dürfen die Bundesländer für sich allein treffen, zum Beispiel wann Kitas, Hotels und kulturelle Einrichtungen weder öffnen sollen. Um eine zweite heftige Infektionswelle möglichst zu verhindern, gilt ein Notfallmechanismus, nach dem im Ernstfall von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche die strengen Kontaktbeschränkungen wieder eingeführt werden müssen. Wie das unsere Gesellschaft aufnehmen würde, steht auf einem ganz anderen Blatt. Der Weg in die Zukunft und zurück in die Normalität wird also ziemlich spannend, zumal es nun auf jeden Landkreis ankommt.

Zunächd möchte ich noch mal kurz innehalten und den Blick zurückwerfen, denn mir stellt sich eine wichtige Frage: Was bleibt vom Lockdown hängen? Wenn ich so manche Menschen reden höhere, könnte man meinen nur Negatives… Ich persönlich kann einige positive Aspekte erkennen! Haben wir womöglich etwas aus den letzten Wochen gelernt? Haben wir durch unsere ganz persönlichen Erfahrungen aus der letzten Zeit eine andere Perspektive oder Sichtweise bekommen?

Keine Frage: Die Corona-Krise war und ist für manche Menschen nicht nur hart, sondern verheerend! Einige kleinere Unternehmen und mühevoll aufgebaute Existenzen werden trotz staatlicher Hilfe Pleite gehen, was viele Arbeitsplätze kosten wird. Auch wenn es die Wirtschaft jetzt verdammt schwer haben wird und viele Mitmenschen vor einer ungewissen Zukunft stehen; Immerhin haben wir einen potenten Staat, der Selbstständige mit Soforthilfe unterstützt, einige Unternehmen retten oder Arbeitslosengeld sofort unbürokratisch bezahlen kann. Außerdem bietet die Krise uns allen die Möglichkeit, innovative Ideen zu kreieren, um diese spezielle Zeit kreativ zu umschiffen. Der renommierte Heizungsbauer Viessmann macht es vor und stellt einen Teil seiner Produktion auf dringend benötigte Beatmungsgeräte um. Dafür setzt der Mittelständler auf einen ambitionierten Plan: Die innerhalb von gerade mal drei Wochen entwickelten Beatmungsgeräte nutzen ausschließlich Teile, die Viessmann in seinen sonstigen Heizungsgeräten und Wärmepumpen einsetzt. Die Geräte hat das Unternehmen gemeinsam mit Krankenhausärzten und der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen im Schnellverfahren konzipiert. Hierbei handelt es sich freilich nicht um HighTech-Geräte, die auf einer Intensivstation und bei einer Intubation einsetzbar sind. Dafür eignen sie sich hervorragend für provisorische Hospitäler oder Feldlazarette bestens. Vor allem auch der Einsatz in Entwicklungsländern ist für Viessmann eine Option.

Gesundheit und Menschenleben haben Priorität

In einer sachlich geführten Diskussion bieten solche Beispiele Lockdown-Befürwortern die Chance, den Lockdown-Gegnern, denen der Ausstieg aus dem Lockdown viel zu lange dauert, nicht nur argumentativ zu begegnen, sondern auch ihre Sorgen vor der wirtschaftlichen Superkrise etwas zu nehmen. Aus meiner Sicht ist es zumindest schwer vorstellbar, dass unser Staat diesbezüglich seine Bürger komplett im Regen stehen lässt, auch wenn der Weg zurück für den einen oder anderen nicht einfach sein wird und die Mühlen der staatlichen Bürokratie oft viel zu langsam mahlen. Allerdings finde ich, dass es zuvorderst doch um die Gesundheit geht und darum, Menschen vor dem Tod zu bewahren. Nicht zuletzt hat unser Staat das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu erfüllen – immer im angemessenen Verhältnis, wie ich bereits mehrfach in meinem Corona-Blog erwähnt habe. Deshalb frage ich mich: Wieso sind wir nicht einfach erstmal dankbar, dass sich die Zahlen der Neuinfektionen so gut entwickelt haben?? In anderen europäischen Ländern waren die Maßnahmen zum Teil noch viel krasser, wenn ich nur an die Ausgangssperre in Spanien denke, wo die Menschen nicht mal das Haus verlassen durften.

Aber auch wenn mancher Coronamaßnahmen-Skeptiker nervt, muss das Ziel sein, zuerst unvoreingenommen und nüchtern nach dem Warum eines anderen Standpunktes zu fragen. Denn nachdem zunächst sehr viele Menschen hierzulande an einem Strang zu ziehen schienen und viele liebe gesunde Menschen ihren Mitmenschen aus der Risikogruppe Hilfe beim Einkaufen und sonstigen Erledigungen anboten, stehen sich die Befürworter und Gegner der politischen Corona-Maßnahmen inzwischen immer öfter unversöhnlich gegenüber. Hier sind wir alle -Befürworter wie Gegner- aufgefordert, bewusst gegenzusteuern und nicht einfach stupide auf unsere Meinung zu beharren, auch wenn wir vielleicht Recht haben. Bleiben wir doch lieber bei solidarischem Handeln und aufeinander Zugehen! Bei Hygiene- und Abstandsregeln darf es jedoch keine großen Ausnahmen geben, denn auf gewisse Normen und Regeln, die für alle gelten, muss sich eine Gesellschaft einlassen! Sonst öffnet sich für Egoismen der Menschen Tür und Tor. Aber auch hier gilt Maß halten und unseren Kindern nicht um jeden Preis eine Maske aufzuzwingen und sich aufzuregen, wenn diese mal jemand nicht ordnungsgemäß angezogen hat.

Viel Jammern hilft nicht viel

Als Teil der ambulanten Pflege, hätten ich und manch anderer Mensch mit Dauerbeatmung Grund genug, sich hinzustellen und zu jammern. Diese Variante habe ich nach einem ersten kurzen Schrecken für mich definitiv ausgeschlossen. Auch wenn es natürlich ärgerlich ist, dass ich bis heute keine Masken von meinem Versorger für Pflegehilfsmittel bekommen habe. Ein Beinbruch war und ist es deshalb noch lange nicht: Die Devise lautete deshalb ganz einfach selbst zu nähen und den gesunden Menschenverstand einzuschalten – etwa in Bezug auf Sinn und Zweck von schützender Ausrüstung und schützenden Maßnahmen. Ich kann und will es beispielsweise meinen Assistenten nicht zumuten, dass sie die ganze Zeit einen Mundschutz tragen. Zumal dieser in einer 24 Sunden Rundum-Versorgung nur bedingteen Nutzen hat. Mein eingebauter Virenfilter im Beatmungsgerät und regelmäßiges Lüften sind da doch um einiges effektiver. Deshalb habe ich mit meinen Leuten ausgemacht, dass sie nur bei der Körperwäsche und in den Momenten ohne Beatmungsgerät eine Maske aufsetzen sollen.

Aber um eines klarzustellen: Auch wenn ich die Dinge am liebsten positiv sehe und ich mich auf pragmatische Lösungen konzentriere, fällt es mir ebenso schwer, diszipliniert durchzuhalten und mich nicht so häufig und intensiv wie sonst mit Freunden zu treffen oder nur eingeschränkt. Oder jeden Tag wieder neu zu hoffen, dass ich nicht angesteckt werde und die Viren-Lage stabil bleibt!

Das Positive in der Krise

Bei allem Übel gilt es sich bewusst zu machen, dass jede Krise einen Wendepunkt bedeutet und einen Aufbruch zu neuen Erkenntnissen und Wegen möglich machen kann – also im Endeffekt etwas verbessert. Meines Erachtens hat uns oder zumindest mir die Krise mehrfach die Augen geöffnet!

  • Die Kontaktsperre hat mich motiviert, regelmäßig mit einem oder maximal 2 BegleiterInnen raus in die Natur zu fahren – vielmehr Sicherheit geht quasi nicht. Ich habe mal wieder bemerkt, dass es in der Rhein-Neckar- Odenwald-Region wunderschöne Natur gibt und man gar nicht weit weg fahren muss. Mir hat am Wochenende nicht mal der Fußball gefehlt, es war sogar mitunter erholsam 🙂 und wenn ich das als alter Fußballfan sage, dann muss da was dran sein. Ich könnte wetten, dass es einigen Menschen ähnlich ging und in ganz Deutschland wunderschöne Natur wiederentdeckt wurde; und neue Motivation entstand, wieder mehr für Umwelt und Klima einzusetzen, zum Beispiel weniger Reisen mit Flugzeugen! Denn so schön blau war der Himmel über Deutschland schon lange nicht mehr.
  • Das Gefühl, dass sich die Räder im Lande etwas langsamer drehen und der Alltagsstress etwas gedämpfter ist, hat gut getan. Diese „aufgezwungene Entschleunigung“, d.h. viel mehr Zeit für andere Dinge außer Arbeit und Freizeittermine zu haben, hat bei vielen Mitbürgern dazu geführt, mehr über sich selbst nachzudenken, längst verstaubt geglaubte alte Kontakte wieder aufzufrischen, zum großen Heimwerker zu mutieren und Dinge zu tun, für die sie schon lange keine Zeit mehr hatte.
  • Scheinbare Selbstverständlichkeiten wie die jährliche Geburtstagsfeier und der Besuch kultureller Veranstaltungen werden wir nach dieser Krise wieder viel mehr schätzen. Ich freue mich jetzt schon auf ungezwungene Grillabende in größerer Runde, Konzertbesuche, gemeinsame Gottesdienste in der Kirchengemeinde und Reisen ins Ausland.
  • Die Corona-Pandemie hat den Blick auf die systemrelevanten Berufsgruppen in unserem Land geschärft, weil ohne diese das Gemeinwesen nicht mehr funktionieren zum Erliegen gekommen wäre. Ich hoffe sehr, dass daraus ein nachhaltiges Bewusstsein in der Gesellschaft entsteht, wie viele engagierte Bürger in den genannten systemrelevanten Berufsgruppen arbeiten: Feuerwehrleute, ErzieherInnen, PolizistInnen sowie KassiererInnen. Da ich persönlich auf gute Pflege und persönliche Assistenz angewiesen bin und ich diese Arbeit sehr schätze, ist es mir ein besonderes Anliegen, dass Pflege- und Assistenzkräfte endlich die notwendige Honorierung bekommen. Und zwar nicht nur in Form von klatschenden Händen, sondern auch finanziell! Von Politikern hört man ja oft nur Lippenbekenntnisse, aber immerhin wurde schon vor Corona eine schrittweise Erhöhung des Mindestlohns für alle Pflegekräfte bis April 2022 beschlossen. Damit stehen die Chancen nicht schlecht, dass das Lohnniveau in Zukunft insgesamt steigt. Also, ein Anfang ist gemacht und darauf lässt sich aufbauen.

Für mich ganz persönlich hat sich gezeigt, dass mir meine selbstbestimmte Lebensform gegenüber einer stationären Unterbringung im Heim die Möglichkeit gibt, individuell passende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Das Risiko, im Heim angesteckt zu werden, ist nicht unbedingt größer. Aber die Folgen einer einzigen Ansteckung wären fataler – wenn es dort ausbricht, hat es gefühlt jeder. Meine Selbstbestimmung wäre -wie ich schon angedeutet habe- bis auf weiteres völlig ausgesetzt. Auch die tatkräftige Unterstützung von außen (Freunde, Familie, Bekannte …), die ich für meine Lebensform brauche, wäre nicht mehr möglich.

Bei allen positiven Aspekten – meine Zeilen sollen keine Schönfärberei sein. Es ist klar, dass sich die Politik etwas überlegen muss: Ein zweiter Lockdown ist in vielerlei Hinsicht eigentlich nicht machbar und das neuartige Corona-Virus wird es wahrscheinlich auch noch im neuen Jahr geben. Aber nicht nur die Politik, sondern auch wir selbst sind gefordert: Denn wenn jeder im Krankheitsfall oder bei Symptomen einer Viruserkrankung zu Hause bleibt sowie die bereits „eingebrannten“ Hygiene- und Verhaltensregeln einhält, haben wir sehr gute Chancen, hier in Deutschland glimpflich davon zukommen. Jeder sollte für sich selbst Verantwortung übernehmen und ein möglichst solidarisches Verhalten an den Tag legen!

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Jede Krise bietet einen Neuanfang!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Jammern und schimpfen ist viel zu einfach und führt keinen Millimeter voran! Konstruktive Kritik und das richtige Mittelmaß sind das Gebot der Stunde.

Noch mehr Natur während dem Lockdown:

Meine Heimat Ostelsheim

Rheinauen bei Stockstadt am Rhein