Teil 2 : Autos, Autos und eine Portion Inklusion

Vor ein paar Jahren kam es bei größeren Menschenansammlungen auf der IAA nicht selten vor, dass einem als E-Rollstuhlfahrer rempelnde Menschen begegnet sind, die einen übersehen oder solche, die sich unbeabsichtigt mitten ins Sichtfeld des Ausstellungsobjekts gestellt haben, das man gerade sehen will. Im Laufe der Jahre haben ich und mein Vater bemerkt, dass sich das Verhalten und die Hilfsbereitschaft gegenüber Rollstuhlfahrern bzw. Menschen mit Behinderung auf der Messe positiv verändert haben. Die Besucher sind viel sensibler geworden. Wenn etwa jemand bemerkt, dass er/sie mir die Sicht auf ein Ausstellungstück versperrt, geht er/sie sofort zur Seite. Natürlich übertreiben es die Leute gelegentlich auch, indem sie versuchen, sich fluchtartig in Luft aufzulösen, sobald sie einen E-Rollstuhlfahrer sehen. Sie könnten ja problemlos überfahren werden…

Wir verlassen gerade Halle 3, als mir mein Papa grinsend erzählt, dass ihn beim Rausgehen ein US-Amerikaner mit den Worten angesprochen hat: „Please take care for the wheelchair driver next to you, he wants to drive through the door .“ Wir müssen natürlich herzhaft lachen, aber der gute Mann konnte ja nicht ahnen, dass ich zu meinem Papa gehöre. Dasselbe Schauspiel wiederholt sich noch zweimal auf Deutsch, als Messebesucher meinen Papa und Assistenten ansprechen und diese auffordern, doch bitte für mich auf die Seite zu gehen. Die höhere Sensibilität und das Verständnis für „handicaped people“ gilt übrigens nicht nur für Messebesucher, sondern auch für Messemitarbeiter. Da die Sonne scheint und wir Hunger bekommen, halten wir an der ersten Currywurst-Bude sofort an. Dummerweise haben wir kein Messer dabei, um mir die Wurst kleinzuschneiden. So habe ich keine Chance, mein Menü zu essen, da ich den Mund nicht weit genug öffnen kann. Mein Vater frägt am Verkaufsstand nach einem Messer und kommt mit dem größten Schlachter-Messer ever wieder zurück. Ich könnte mich totlachen, finde die Aktion aber klasse! Die nette Verkäuferin handelt total unkonventionell und gibt uns ihr einziges Messer. Da gehörte schon eine große Portion Vertrauen dazu – es wäre viel einfacher für sie gewesen, wenn sie sich hinter ihren Vorschriften versteckt hätte.

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An dieser Stelle muss ich einfach die witzige Anekdote mit Daimler-Boss Dieter Zetzsche vor zwei Jahren erzählen. Es passt perfekt zum erhöhten Stellenwert von Menschen mit Behinderung bei den Messemitarbeitern. Wir fuhren durch die Mercedes-Halle und an einer Stelle gab es einen separaten Durchgang für Rollstuhlfahrer, den ich auch passiert habe. Wenige Augenblicke später tauchte plötzlich Zetzsche auf und war gerade dabei, den Rollstuhldurchgang zu durchqueren. Er hatte aber nicht mit einer engagierten Mitarbeiterin gerechnet, die auf ihn zustürzte und ihn wild gestikulierend davon abhielt, weiterzulaufen. Sie erklärte ihm, dass dieser Durchgang speziell für Rollstuhlfahrer sei. Wenige Meter daneben konnten ich und mein Vater uns das Grinsen nicht verkneifen. Dann kam ein anderer Mitarbeiter ziemlich hektisch herbeigeeilt und flüsterte seiner Kollegin etwas ins Ohr. Diese lief auf der Stelle puderrot an und öffnete dem Vorstandschef unverzüglich den Durchgang. Sie hatte einfach keine Ahnung, dass sie den obersten Boss vor sich hatte. Natürlich mussten wir sofort loslachen! Aber im Endeffekt gelten für einen Vorstandschef die gleichen Regeln wie für jeden anderen Menschen auch.

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Abgesenkte Bordsteine inklusive: nicht nur die Messebesucher geben ihr Bestes, auch die Barrieren halten sich in Grenzen.

Aber zurück in die Gegenwart: Nach unserem Imbiss bin ich ziemlich fertig und bekomme zu allem Überfluss noch starke Kopfschmerzen. Ich gebe das Signal, dass ich mich nun hinlegen und ausruhen muss. Das heißt erst einmal suchen, weil die Sanitätsstation, in der ich mich ausruhen kann, scheinbar umgezogen ist. Zum Glück geht jemand ans Telefon, als wir die entsprechende Nummer wählen. Die Station befindet sich nun am anderen Ende der Messehalle 4, ist neu renoviert und sieht ziemlich modern aus. Allerdings gibt es nur zwei etwas härtere Liegen, von denen der Sanitäter – wie er uns erzählt – regelmäßig Kreuzschmerzen nach seinem Nachtdienst bekommt. Er ist ziemlich nett und würde uns wohl gleich fünf Decken zur Unterpolsterung bringen, wenn wir nur wollen. Ich kann mich zum Glück ganz gut erholen. Das gilt genauso für meinen Rollstuhl, der sich die nötige Energie von der Steckdose wieder holt. In der Vergangenheit habe ich es tatsächlich zwei- oder dreimal geschafft, meinen Akku komplett leerzufahren. Da blieb uns nichts anderes übrig, als die sogenannte „ViaMobile“ zu benutzen, im Prinzip nichts anderes wie eine Rolltreppe ohne Treppe 🙂 Damit sind die verschiedenen Messehallen verbunden. Allerdings ist der Zugang zur „ViaMobile“ nicht ganz unkompliziert, da man oft die Etage wechseln muss und auch die Aufzüge nicht immer auf Anhieb findet.

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Spasic geht die Welt zugrunde: Bei Opel ist alles auf Hochglanz poliert.

Und bei schönem Wetter ist es auch ganz angenehm, die Wege auf dem Außengelände zurückzulegen. Heute nervt mich aber mein Rollstuhl total, da er auf dem etwas unebenen Messegelände ziemlich stark schwankt. Ich würde mir am liebsten auf der Stelle einen Neuen bestellen. Die Folgen der Wackelei quälen mich schon ein paar Jahre. Die Problematik äußert sich so, dass Ruckler bzw. seitliche Bewegungen meine Sitzposition sehr leicht negativ verändern und meine rechte Hand verrutscht, die den Steuerknüppel bedient. Eher ungünstig, wenn es wie bei mir auf jeden Millimeter ankommt. Den Spaß lasse ich mir trotzdem nicht nehmen und schaue mir mit meinen Begleitern noch drei weitere Hallen an. Danach geht’s zurück zum Parkplatz und tatsächlich ohne Stau wieder nach Heidelberg – unglaublich aber wahr!!

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Die Automesse ist hinsichtlich praxisorientierter Inklusion eine Veranstaltung mit Vorbildcharakter.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Vorsicht, das ist kein unverschämter Messebesucher, sondern nur der Begleiter eines Rollstuhlfahrers.