MAIK 2013 – Klappe die Zweite: Die Begegnung mit dem „Selbstbestimmt Leben“-Papst

Von der S-Bahn-Station Rosenheimer Platz im Herzen Münchens ist es nur ein Katzensprung bis zum Kongresshotel. Es ist in eine Einkaufspassage integriert und ich fahre mit dem Aufzug zunächst alleine ins Foyer hoch. Nach wenigen Augenblicken läuft eine Frau in meine Richtung, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Ich muss grinsen und sehr erfreut stellt sie sich als „die Maria“ vor. Echt gut, kaum bin ich hier, schon treffe ich meine liebe Maria Panzer. Und natürlich gibt sie mir gleich einen heißen Tipp: „Marcel, unser Redner des Impulsreferates, Adolf Ratzka, ist auch schon da! Hefte dich an seine Fersen, er ist sehr interessant und unglaublich nett.“ Aber erst einmal angekommen, meine Helferin ist inzwischen nachgekommen und wenige Minuten später bewundern wir unser großes Doppelzimmer mit zwei großzügigen Räumen, Doppelbett, Klappsofa und noch weiteren Gimmicks. Das kann man lassen, auch wenn die Betten hoteltypisch zu niedrig sind, ebenso wie das etwas zu hohe WC. Aber mit ein bisschen Kreativität und der Routine von meiner erfahrenen Reisebegleiterin bekommen wir das locker hin. Wäre nur das Wasser nicht dauerhaft viel zu heiß gewesen… Nach der fünften Beschwerde passiert endlich mal was, aber da sind wir auch kurz vor der Abreise 🙂 Sonst geht alles klar, nur dass ich mein Referat noch nicht mal fertig habe, die Powerpoint Präsentation fehlt noch, trotz Nachtschicht vor der Abfahrt. Aber es war einfach zu viel los…

IMG_0650IMG_0654Zunächst hat es oberste Priorität, dass ich das Referat von Adolf Ratzka mitbekomme. Ich bin echt gespannt, der Mann hat viel geleistet und durchgemacht. In den sechziger Jahren an Polio erkrankt, verbrachte er fünf Jahre im Krankenhaus, da es damals noch keine rollstuhlgerechte Wohnungen in Deutschland gab. Von Inklusion konnte zu dieser Zeit noch nicht einmal ansatzweise Die Rede sein. Aber er wusste sich zu helfen, orientierte sich an der Bewegung. „Independent Living“ (IL) in den USA und schaffte schließlich den Sprung ins Studentenwohnheim in den USA mit Beatmungsmaschine und Assistenten, die er selber anstellte. Er gilt für beatmungsabhängige Menschen, die selbstbestimmt leben wollen, als großes Vorbild – seit dem MAIK 2013 gehöre auch ich zu seinen großen Fans. Ich schaffe es wie zu erwarten nicht ganz pünktlich zum Vortrag. Im großen und gut gefüllten Saal höre ich die leise Stimme eines älteren Mannes im Rollstuhl, neben ihm der Behindertenbeauftragte Münchens und Maria Panzer. Zum Glück bekommen die Techniker das Mikrofon bald in den Griff und ich verstehe Dr. Ratzka bestens. Ich merke sofort: der Mann ist mal sowas von sympathisch und bodenständig, gleichzeitig aber auch sehr zielstrebig. Immer mal wieder streut er einen witzigen Spruch ein. Und das wichtigste dabei: er ist total authentisch. Noch während dem Vortrag fasse ich den Entschluss, dass ich mir diesen Mann nicht entgehen lasse. Ich spreche ihn nach der Veranstaltung sofort an und er findet es sehr spannend, wie ich mein „selbstbestimmtes Leben“ organisiere bzw. wie das Prinzip Individualhilfe funktioniert. Wir parken unsere E-Rollis genau nebeneinander, damit wir uns verstehen, echt cool, wie zwei Kumpels 🙂 Im Anschluss an unser Gespräch frage ich ihn, ob er mir seine Kontakt-E-Mail-Adresse gibt. Ohne zu zögern nennt er mir sie und fügt noch hinzu: „Ich bin übrigens der Adolf!“ Ich bin begeistert! Voller Enthusiasmus fahre ich schnell auf mein Zimmer und bastle eifrig an meinem Referat weiter, meine Multifunktionshelferin ist ebenfalls fleißig.

Münchener außerklinischer Intensiv Kongress November 2013

Dr. Adolf Ratzka. Foto: Intensive Home Care Consulting (IHCC)/Sebastian Heise

Ich werde natürlich nicht ganz fertig, obwohl mir meine Helferin das Essen vom reichhaltigen Buffet aufs Zimmer bringt. Schnell lasse ich mir das Menü reinschaufeln, ruhe mich mehr schlecht als recht aus und starte zum Vortrag meines geschätzten Arztes und Pneumologen Matthias Wiebel aus der Thorax-Klinik Heidelberg. Ein toller Mann, der die Selbstbestimmung der Patienten zu seiner obersten Maxime gemacht hat und der Meinung ist, dass es für jeden Patienten eine individuelle Lösung gibt. Dann kommt Lars Burde  aus Mannheim, der schon länger das Arbeitgebermodell praktiziert. Er beamt sich mit seinem Rollstuhl-Sitz nach oben und beginnt mit seinem Vortrag. Klar strukturiert, informativ, anschaulich und mit Witz. Sein Beatmungsschlauch verläuft über einen extra dafür angefertigten Arm direkt bis an seinen Mund. Der Clou: am Ende des Schlauches ist lediglich ein Babynuckel mit einem Loch befestigt, durch das er über den Mund dann Luft holt, wenn er sie braucht. Nach dem Vortrag spreche ich zunächst mit meinem Arzt, einer weiteren Persönlichkeit der „Selbstbestimmt Leben-Bewegung“ und danach mit dem Referenten. Er ist sehr nett und gibt mir einige Auskünfte. Natürlich verpasse ich es nicht, mir seine E-Mail-Adresse geben zu lassen. Mit Sicherheit ein guter Kontakt, denn Lars hat viel Erfahrung in Sachen Alltagsassistenz und Integration auf dem Arbeitsmarkt.

Münchener außerklinischer Intensiv Kongress November 2013

Dr. Wiebel. Foto: IHCC/Sebastian Heise

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                                                                                                                                              Danach ist es sehr spät, das angekündigte „Get together“ geht schon in einer Stunde los, also bleibt nicht mehr viel Zeit. Dennoch beschließe ich, nochmal kurz aufs Zimmer zu fahren und meinem Vortrag den letzten Schliff zu verpassen. Die Party wird ja wohl nicht schon nach einer halben Stunde wieder vorbei sein… Als ich später dazu stoße geht der Punk ab, einige Rollis und vor allem E-Rollis sind am Start, ich verstehe mein eigenes Wort nicht mehr. Natürlich spielt auch eine Band und zur Begeisterung aller gibt der Kongresspräsident Chrisoph Jaschke an der E-Gitarre sein Bestes. Nachdem das Spektakel vorbei ist, führe ich noch einige interessante Gespräche, der Spaß steht dabei im Vordergrund. Gut gelaunt und ziemlich müde falle ich ins Bett, bevor es am nächsten Tag zum großen Showdown kommt.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Konzentriere dich auf die interessanten Persönlichkeiten!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Menschen mit vierrädrigem Unterbau haben meist viel Lebenserfahrung und einige gute Tipps auf Lager!