Selbsthilfe hört sich grausamer an wie es in Wirklichkeit ist

Im Journalismus problemlos an eine Festanstellung zu kommen, ist ungefähr so wahrscheinlich, wie dass derzeit irgendeine Fußballmannschaft dieser Welt den FC Bayern schlägt. Der Bezug von Printmedien ist nicht erst seit diesem Jahr stark rückläufig, weshalb es mittlerweile zahlreiche arbeitslose Journalisten gibt. Eine der wichtigsten Ursachen ist der zunehmende Internetkonsum. Das Internet ist Untergang und Chance zugleich für die Printmedien und das gilt auch für mich. Denn alle meine aktuellen und potentiellen Auftraggeber bauen ihre Onlinepräsenz kontinuierlich aus, wollen Leute, die sowohl Texte schreiben können als auch Facebook beherrschen. Nur so ist heute gutes Marketing möglich. Eine andere Chance von mir liegt darin, ein Projekt aufzuziehen oder bei einem solchen mitzumachen, für das sich ein potenter Sponsor interessiert. Der Ansatzpunkt könnte im Selbsthilfebereich liegen. Zunächst geht es darum, dass ich mich bekannt mache und Kontakte knüpfe, um dann gemeinsam mit anderen engagierten Menschen etwas auf die Beine stellen zu können. Deshalb habe ich mir überlegt, eine kleine Serie über Selbsthilfegruppen aus der Rhein-Neckar Region zu starten.

Mein Vorhaben beginnt in Mannheim, beim Arbeitskreis Barrierefrei. Ausgerechnet an diesem Tag kommt mein Zeitplan völlig durcheinander und ich habe ziemlich Verspätung, als ich irgendwann doch noch ankomme. Aber vielleicht kann ich ja wenigstens zwei, drei gute Gespräche führen, denke ich mir. Ich hatte zuvor dem Vorsitzenden per E-Mail angekündigt, dass ich gerne zum monatlichen Routinetreffen erscheinen will. Meine Helferin klopft am Sitzungsraum an und sofort geht die Türe auf. Ein Rollstuhlfahrer rollt hinaus und meint, dass die Sitzung jetzt vorbei sei. Die Diskussion ist allerdings noch in vollem Gange und ich sammle noch einige nützliche Eindrücke. Mir fällt eine sehr engagierte Frau auf, die sich ziemlich intensiv einbringt. Nach der Sitzung fahre ich sofort auf sie zu, da sie eine wichtige Kontaktperson für mich sein könnte. Wir unterhalten uns gut und sie ist sehr interessiert an meinen Ausführungen. Bevor wir uns verabschieden, tauschen wir noch unsere Visitenkarten aus. Einer der Vorsitzenden ist sehr auskunftsfreudig und kennt natürlich – wie könnte es auch anders sein – meinen derzeitigen Hauptauftraggeber. Echt unglaublich, aber er hat wirklich ein sehr großes Netzwerk in der Behinderten- und Selbsthilfeszene aufgebaut. Da habe ich noch eine Menge Arbeit vor mir, denn als Redakteur von einer Zeitschrift wie RehaTreff sind Kontakte wie diese wahnsinnig wichtig. Und irgendwann muss ich ja mal anfangen.

IMG_0333Wenige Tage später bekomme ich eine Mail von der engagierten Frau vom Arbeitskreis Barrierefrei mit Infos über interessante Veranstaltungen. Unter anderem weist sie mich auf die Regionalkonferenz in Mannheim hin, über die ich unlängst berichtet habe. Meine nächste Station ist der Beirat für Menschen mit Behinderung in Heidelberg. Die Vorsitzende des Beirats ist in der Geschäftsführung meines Pflegedienstes und sie empfiehlt mir auf jeden Fall den Stammtisch des Beirats zu besuchen. Da hätte ich sogar mehr davon, als mir die Sitzung im Rathaus anzuhören. Ich fahre also zu einem Restaurant am Heidelberger Hauptbahnhof, um Zeuge vom BMB-Stammtisch zu werden. Wieder mal etwas knapp in der Zeit düse ich ins Restaurant und will schon fast wieder enttäuscht abdrehen, da sehe ich im hinteren Bereich einen einzigen Rollstuhlfahrer an einem Tisch sitzen. Es ist der stellvertretende Vorsitzende des Beirats, mit dem ich schon Mailkontakt hatte. Er begrüßt mich freundlich und meint, dass heute wohl keiner Zeit gefunden habe, am Stammtisch teilzunehmen. Es ist eben immer mit einem Zeitaufwand verbunden, für einen Selbsthilfeverein tätig zu sein oder in ihm präsent zu sein. Es sei eines der größten Probleme, dass viele Menschen mit Behinderung seine Interessen gewahrt haben wollen, aber nur die wenigsten dafür bereit seien, Zeit und Energie für ehrenamtliche Arbeit aufzuwenden. So kommen wir ins Gespräch und da wir alleine sind, bekomme ich eine interessante Einführung über den BMB und kann mich in Ruhe mit dem Vorsitzenden austauschen.

IMG_0327In der Zeit danach beschäftige ich mich durch meine Tätigkeit beim RehaTreff etwas näher mit dem Thema MS. Ich gehe auf die Internetseite des Bundesverbandes MS-Erkrankter und stoße auf den sehr gut organisierten und mitgliederstarken Landesverband Baden-Württembergs mit dem gut einzuprägenden Namen „AMSEL“. Nach einer ausführlichen Internetrecherche nehme ich Kontakt mit der Leiterin der Regionalstätte Nord-Baden auf. Nach ein paar Mails und einem Telefongespräch schlägt die Leiterin vor, dass wir uns mal in einem persönlichen Gespräch austauschen. Das ist einfach besser und eine ganz andere Ebene, findet sie. Sie lässt mich auch ohne zu zögern den Treffpunkt festlegen, dem sie sofort zustimmt. Die Frau versteht etwas von pragmatischen Lösungen und spricht nicht nur von Inklusion. Und sie macht es für mich als Journalist einfach, an interessante Informationen zu kommen. Als ich bei strömendem Regen etwas gestresst am Treffpunkt einfahre, sehe ich eine wartende Frau und schicke sofort meinen Helfer zu ihr. Er soll fragen, ob sie die Frau von der AMSEL ist. Sie ist es natürlich nicht und mir ist die Situation etwas unangenehm, mein armer Helfer!

Also fahre ich in das Lokal hinein und kurze Zeit später kommt eine Frau auf mich zu und stellt sich als meine Gesprächspartnerin vor. Sofort frägt sie uns, ob sie uns etwas bestellen darf. Echt ziemlich nett und zuvorkommend! Ich erfahre alles über die Struktur der Amsel und bekomme sämtliche Fragen beantwortet, die mir wichtig erscheinen. Am Ende des Gesprächs gibt sie mir noch mit auf den Weg, dass ich bei den Stammtischen der lokalen Amsel-Kontaktstellen die wirklich interessanten und spannenden Details zum Alltagsleben von MS-Betroffenen erfahre. Richtig toll finde ich, dass sie die Kontaktstellen, deren Ansprechpartnerin sie ist, von unserem Gespräch berichten will. Das macht die weitere Beschäftigung mit dem Thema MS einfacher und erleichtert es mir, weitere Kontakte zu erschließen. In der Bahn beschäftige ich mich zufrieden mit dem Gespräch und stelle plötzlich entsetzt fest, dass ich ganz vergessen habe, gleich ein Bild von ihr zu machen. Aber so etwas soll angeblich selbst besten Journalisten passieren.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Es bringt nix, gemütlich zu Hause zu sitzen und darauf zu warten, bis andere Initiative ergreifen.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Der Begriff Selbsthilfe ist für die meisten Menschen in der Bevölkerung negativ besetzt. Dabei bietet Selbsthilfe unglaublich viel Potential.