Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!!!

Es ist doch völlig klar, dass ich es dem diesjährigen Pokal-Finalisten VFB Stuttgart einfach gleichtun und unserer Hauptstadt dieses Jahr eine Stippvisite abstatten musste. Für diese Reise habe ich mich entschlossen, zwei Begleitpersonen mitzunehmen, das ist viel entspannter und es bleibt nicht alles an einer Person hängen. Frühzeitig habe ich mit zwei altbewährten Helferinnen den gemeinsamen Trip klargemacht. Außerdem ist meine Schwester mit ihrem Freund zwei Tage mit dabei, sie wohnen im gleichen Jugendgästehaus. Also noch mehr Entlastung für meine zwei Mädels. Als wir ohne große Komplikationen ankommen, hat meine Schwester aber gleich mal eine schlechte Nachricht parat: Genau bei der U-Bahn-Station, über die wir am schnellsten ins Stadtzentrum gekommen wären, funktioniert der Aufzug nicht. Das bedeutet, dass wir immer etwas länger brauchen, bis wir an unsere gewünschten Zielorte kommen. Rekord sind durch mehrmaliges Umsteigen zweieinhalb Stunden. Zum Glück kann ich mich nach dieser Odyssee mit einer echten Berliner Currywurst trösten.

31082013714Es sind echt gute Nerven nötig, wenn wir mit dem öffentlichen Nahverkehr die Stadt erkunden. Dabei ist Berlin in diesem Punkt echt fortschrittlich, da selbst die älteren Bahnen ohne Probleme nutzbar sind. Jede U- und S-Bahn-Station ist mit einer stationären Klapprampe ausgestattet, die der Zugführer bei Bedarf völlig unkompliziert anlegen kann. Berlin ist eine von den wenigen Städten, wo ich ganz entspannt und ohne Schweißausbrüche von A nach B komme. Leider bringt dies eben nicht so viel, wenn die Aufzüge kaputt sind. Allerdings scheint die Auszeichnung Berlins zur barrierefreisten Stadt Europas schon ein bisschen sehr optimistisch, wenn Aufzüge selbst an Knotenpunkten wie dem Zoo oder dem Kudamm kaputt sind. Einer deutschen Hauptstadt unwürdig. Natürlich muss man zur Ehrenrettung anmerken, dass es kaum möglich ist, dass ein derart riesiges U- und S-Bahn-Netz ohne irgendeine Unterbrechung funktioniert.

IMG_0511 Das Dreibett-Zimmer unserer Unterkunft ist soweit in Ordnung, mit den üblichen Defiziten, wenn der Preis niedrig ist und der Träger kein Selbsthilfe- oder Behindertenverein ist: Recht klein, sehr niedriges Bett, was für meine Helferinnen natürlich suboptimal ist und ein Bad mit Ecken und Kanten. Zunächst muss der WC-Stuhl über eine am Boden installierte Kabelleiste geschoben und dann von beiden Seiten kurz angehoben werden, damit ich über die Kloschüssel komme. Gut, dass wir zu dritt sind, es ist sowieso genial, wie sich meine beiden Helferinnen ergänzen und mich in Turbogeschwindigkeit stadterkundungstauglich machen. Es geht tatsächlich schneller, wenn vier statt zwei Arme an einem herumschrauben. Da wir Einiges an Gepäck und sonstigen Dingen dabei haben, ist es in unserer Bude sehr voll. Dass noch jemand durch die Türe passt, ist alles. Falls der Notstand in Berlin ausgerufen wird, sind wir jedenfalls gut gerüstet, da meine Oberplanerin aus Franken einfach Alles, was man zum Überleben braucht, eingepackt hat 🙂
IMG_0468Am zweiten Tag fahren wir mit dem Bus zur Siegessäule, selten habe ich so einen zuvorkommenden und netten Busfahrer erlebt, die meisten anderen Fahrer und Zugführer sind hier ebenfalls recht nett. Dann geht’s weiter zu einer der Schiffsanlegestellen an der Spree. Es gibt einige rollsuhlgerechte Rundfahrtschiffe. Wir haben nicht mehr viel Zeit, bis unser Schiff ablegt. Dummerweise finde ich keinen geeigneten geteerten Abgang zur Anlegestelle, es sei denn, ich lege einen halben Kilometer Umweg zurück. Ich beschließe einfach, dass mein Rollstuhl geländegängig genug ist und fahre das relativ steile Stück Wiese hinunter. Der kurze Ausritt lohnt sich und mir wird auf dem Schiff richtig bewusst, wie groß das Bundeskanzleramt ist. Die immense Investition, die dahinter steckt, wirft nicht nur bei mir Fragen auf.

IMG_0490Da passt es doch perfekt, dass wir am gleichen Abend noch ins politische Kabarett gehen. Über einen Seiteneingang lässt uns ein Techniker des Theaters ins Innere des Gebäudes und mit dem Personalaufzug geht’s nach oben. Der Aufführungsraum ist im Stile eines alten Kinosaals gehalten, der recht eng ist, aber eine gute Atmosphäre bietet. Nachdem sich alle Besucher an mir vorbeigequetscht und mich einige von Ihnen mit einem strengen Blick bedacht haben, ist der Spaß für alle Beteiligten groß. Ich verdränge sogar eine weitere VfB-Niederlage sehr effektiv 🙂 Am nächsten Tag steht der alte Tempelhofer Flughafen auf dem Programm, ich bin vor allem an einer Führung durch das alte Gebäude interessiert. Es dauert schon relativ lange, bis wir am Tempelhofer Feld ankommen und bis wir rausfinden, wo der richtige Eingang ist und wir uns für eine Führung anmelden können, vergeht noch einmal sehr viel Zeit. Und dann kommt die Ernüchterung: Führungen, die auch für Rollstuhlfahrer angeboten werden, soll es erst nächstes Jahr geben. Immerhin erklärt sich einer der Führer bereit, uns zumindest einen kurzen Einblick in das Gebäude und seine Geschichte zu geben. Schon ein imposantes Bauwerk, das Adolf der „Größenwahnsinnige“ da hingestellt hat. Zumindest eignet es sich großartig dafür, mit dem E-Rollstuhl hindurchzurasen. Unser Kurzzeit-Führer ist ebenfalls schwer beeindruckt von meinem schnellen Gefährt.

IMG_0526Zu erwähnen sind natürlich noch meine drei Treffen mit Bekanntschaften aus Berlin. Ich treffe mich unter anderem mit einem Rollstuhlfahrer, den ich auf einem Berufseinstiegsseminar kennengelernt habe und mit einem E-Rollstuhlfahrer, den ich bisher nur aus Erzählungen kenne. Er ist auch auf Assistenz angewiesen und hat den Schritt gewagt, vom vergleichsweise beschaulichen Mainz nach Berlin zu ziehen. Das nötigt meinen größten Respekt ab! Dort arbeitet er für die Grünen-Fraktion und kümmert sich um die Bearbeitung behindertenpolitischer Themen. Wenige Tage später leitet er mir eine sehr interessante Stellenanzeige weiter, zum Glück ist es keine Stelle in Berlin sondern in Heidelberg. Zum Abschluss meines Berlintrips treffe ich mich mit einem alten Schulkamerad in Kreuzberg, da ich mir dieses Viertel unbedingt mal reinziehen möchte. Es ist ziemlich viel los, das Stadtleben pulsiert hier. Ich fahre an Kneipen, Bars und kleinen Restaurants vorbei, aber entweder sind sie zu eng, zu voll oder nicht barrierefrei. Zu meiner Erleichterung komme ich in eine der zahlreichen Imbissbuden hinein und kann einen leckeren Gemüse-Kebab essen.

IMG_0547Am nächsten Tag geht’s ohne Komplikationen wieder heimwärts. Die sonst übliche kleine Urlaubs-Katastrophe bleibt aus. Im Gegenteil: Es fällt mir sogar ein bisschen schwer, die coole Stadt zu verlassen und keine Doppelversorgung durch meine Mädels mehr zu bekommen.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Berlin im E-Rollstuhl zu besichtigen, ist ein Genuss – wenn man ein Helferinnen-Dream-Team am Start hat.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Ohne funktionsfähige Aufzüge bringen alle barrierefreien Bahnen der Welt nichts!