Behindertenrechtskonvention ganz demokratisch!

Die meisten von Euch haben sicher schon von der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) gehört, die 2009 verabschiedet wurde und die von zahlreichen Ländern unterzeichnet worden ist. Sie enthält grundlegende Bestimmungen, um für Menschen mit Behinderung eine inklusive Alltagsumgebung herzustellen. Das heißt, die staatlichen Institutionen und die Gesellschaft eines Landes schaffen Bedingungen, die sich auf ihre behinderten Mitmenschen einstellen und ihnen ein gleichberechtigtes Leben ermöglichen. Dafür formuliert zur Zeit jede Stadt, jede Kommune, jedes Bundesland und schließlich die Bundesregierung einen Aktionsplan und will diesen umsetzen. Das hört sich jetzt alles ziemlich theoretisch an, ist es aber nicht, wie ich bei der Regionalkonferenz in Mannheim erlebe. Bei der Veranstaltung haben Betroffene, Angehörige, Vertreter von Selbsthilfevereinen, Behindertenwerkstätten und Schulen die Möglichkeit, sich zu den bisher ausgearbeiteten Leitlinien des Landesbehindertenbeirats zu äußeren.

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Das ist für mich echte Demokratie, jeder hat die Chance, mitzureden und seine Erfahrungen einzubringen! Wenn man sich die große Vielfalt unterschiedlicher Behinderungen und Bedürfnisse vor Augen führt, was mir hier in Mannheim so richtig bewusst wird, ist das besonders wichtig. Und Politiker brauchen diese Außensicht ihrer mitten im Alltagsleben stehenden behinderten Mitmenschen, um gute Gesetze zu verabschieden, die möglichst vielen von ihnen gerecht werden. Mir gefällt das wirklich, mitgestalten statt mitjammern mit allen anderen Politikverdrossenen! Zur Konferenz hatte der Landesbehindertenbeauftragte aufgerufen, der die Interessen der Menschen mit Behinderung im jeweiligen Bundesland vertritt. Ich bin im Vorfeld etwas skeptisch, denn solche Bürgervertreter versprechen in schönen Reden oft sehr viel und können kaum etwas davon umsetzen. Letztes Jahr habe ich eher negative Erfahrungen mit dem Behindertenbeauftragten gemacht, als ich bei einem sehr wichtigen Anliegen mit drei Sätzen abgespeist wurde. Natürlich vertritt er eine ganze Menge Menschen und kann sich nicht um alles kümmern, was mich etwas milder stimmt. In seiner Eröffnungsrede gefällt er mir sehr gut: kompakt, prägnant und mit Nachdruck!

Der engagierte dicke Mann

In drei Arbeitsgruppen unterteilt – „Erziehung und Bildung“, „Wohnen und Wohnumfeld, Kultur, Freizeit, Vereine, Tourismus“ und „Gesundheit und Arbeit“ finden sich die Teilnehmer zusammen und diskutieren. Ich bin letzterer Gruppe zugeteilt. Die Diskussion läuft gut und ich habe das Gefühl, dass einige sehr engagierte Anwesende richtig gut vorbereitet sind. Vor allem einige Eltern von Menschen mit geistiger Behinderung, setzen sich nachdrücklich für ihre Kinder ein. Ich merke schnell, dass einige Aspekte durchaus emotional aufgeladen sind. Die meisten Anwesenden legen großen Wert darauf, endgültig mit allen Facetten der Diskriminierung aufzuräumen! Engagement ist sehr notwendig, aber alles hat seine Grenzen, finde ich. Manche nehmen sich schon verdammt wichtig und nehmen sehr viel Diskussionsraum ein. Ein dicker Mann, der sich als Angstpatient vorstellt und an einer Esssucht leidet, schießt den Vogel ab. Ständig gibt er einen Zwischenkommentar ab und ergreift bei jeder passenden Gelegenheit das Wort, um seinen Unmut zu äußern. Er wirft mit Ausdrücken wie „Das kann es echt nicht sein“ und „Das ist unter aller Kanone!“ um sich. Ist ja gut, denke ich irgendwann, finde es aber auch schon wieder amüsant 🙂

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Inklusion in der Praxis will gelernt sein!

Dass auch manche Teilnehmer auf einem Seminar, bei dem Inklusion im Mittelpunkt steht, im Umgang mit E-Rollstuhlfahrern noch dazulernen müssen, merke ich in der Mittagspause. Ich sitze mit meinem Helfer an einem Tisch, gegenüber zwei Herren. Der eine spricht meinen Helfer an und fragt, wieso ich ständig beatmet werden muss und möchte wissen, ob es heute sehr anstrengend für mich ist. Ich bin etwas verwundert und frage mich, wieso er mich nicht selber anspricht. Ein Anfängerfehler und das bei dieser Veranstaltung… Ich sage gerade heraus, dass er schon viel zur Inklusion beitragen würde, wenn er mich einfach selber anspricht. Die anderen Männer grinsen und immerhin befreit sich der Angesprochene umgehend aus seiner Zwangslage. Es entwickelt sich ein angenehmes Gespräch und die drei Herren interessieren sich sehr für meine Tätigkeit. So bekomme ich drei Zeitschriften, in denen ich publiziert habe, an den Mann. Hoffentlich habe ich bleibenden Eindruck hinterlassen.

Emotionen pur

Dann geht es auch schon weiter, jetzt geht es um das Thema Arbeit und die Diskussion gewinnt an Fahrt. Es ist ein hoch emotionales Thema und die meisten finden es absolut nicht in Ordnung, von einem zweiten, nachrangigem Arbeitsmarkt zu sprechen. Dies vermittelt ihnen den Eindruck, Menschen mit Behinderung würden minderwertigere und unprofitable Arbeit abliefern.Die Erfahrungen bezüglich der Unterstützung der Arbeitsagentur sind durchweg negativ und alle Anwesenden wünschen sich als Alternative unabhängige Beratungsstellen. Naja, es gibt eine Ausnahme, ein Reha-Berater, der die Welt nicht mehr versteht. Er finde die Beschwerden haltlos und steht dem Wahrheitsgehalt der Äußerungen in Frage. Die Reha-Berater würden eine super Arbeit machen und könnten auch nichts dafür, wenn die Unternehmen keine Menschen mit Behinderung einstellen würden.

IMG_0191Nachdem ich mich bis zu diesem Zeitpunkt noch einigermaßen im Griff habe, platzt es jetzt aus mir heraus. Ich berichte, dass man der Wahrheit ja wohl ins Auge sehen müsse und ich noch nie ein vernünftiges Job-Angebot vom Jobcebter vermittelt bekommen habe. Das tut gut, ich musste meinem Ärger einfach Luft machen. Danach beruhigt sich die Diskussion etwas, bis die Moderatorin uns mitteilt, dass wir die letzten beiden Punkte auf der Agenda nicht mehr schaffen. Sie provoziert damit den letzten Auftritt unseres Angstpatienten. Er beschwert sich, dass dies ja wohl überhaupt nicht gehe! Zum Glück kann er sich wieder beruhigen, da er eine E-Mail Adresse mitgeteilt bekommt, an die er alle seine offenen Fragen richten kann. Gut, dass ich nicht der Empfänger bin.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Engagement ist gut, übertriebene Polemik weniger!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Die Teilnahme an einer Diskussion mit behinderten Menschen gewährleistet nicht automatisch inklusives Verhalten.