Uns Rollstuhlfahrer und anderen Behinderten geht es in Deutschland sehr gut. Wir haben mehr Rechte als wir glauben und bekommen je nach Krankheitsbild und Bedarf eine „Rund um die Uhr“-Versorgung bezahlt. Alles schön und gut, wäre da nur nicht das böse Monster namens Bürokratie in Form der deutschen Ämter. Ein Umzug in einen anderen Zuständigkeitsbereich kann da echt zum Fluch werden: Zunächst einmal muss der Umzug für Hartz 4-Empfänger wie mich vom Jobcenter genehmigt werden. Als E-Rollstuhlfahrer, der mit einer 24 Stunden Alltagsassistenz bekommt, steht einem eine umfangreichere Wohnungsgröße zu. Das weiß ich und ich bin ziemlich verwundert, als die Frau vom Jobcenter unverblümt wissen will, wozu ich eigentlich umziehen will. So nach dem Motto, was fällt dem eigentlich ein, umzuziehen! Aber es gibt ja triftige Gründe, ich lasse mich nicht abwimmeln und bleibe ganz freundlich.
Später analysiere ich mit meinen Freunden die Situation: Im Prinzip geht es dem Amt nur darum, eine Geldleistung zu verhindern oder möglichst lange hinauszuzögern. Wir geben die Parole aus, dass ich den Vorfall abhake und das Amt kontinuierlich nerve, wie weit mein Antrag denn sei. Die Genehmigung lässt zum Glück nicht lange auf sich warten und die Bestätigung durch das neue Jobcenter läuft reibungslos. Tja, Wunder gibt es bekanntlich immer wieder! Aber die Freude währt nicht allzu lange, denn es gibt ja auch noch das Sozialamt, welches einen Teil der Pflegeleistungen und die Alltagsbegleitung bezahlt. Auch hier steht ein Ämterwechsel bevor, wobei die Sozialämter ihren Sitz in der gleichen Stadt haben. Gefühlt sind sie aber ein paar 100 Kilometer voneinander entfernt. Eigentlich müssten die Sachbearbeiter ja nur kurz miteinander reden und eine saubere Aktenübergabe machen. Aber das wäre ja zugegebenermaßen viiieeel zu einfach…
Der Traum, ohne einen Formularkrieg auskommen zu können, ist schnell ausgeträumt. Der Beginn der Antragsprozedur ist noch erträglich, aber irgendwann verkommt die ganze Geschichte zu einer einzigen Farce. Es fehlt immer nochmals ein Formular oder ein Nachweis, so sinnlos er auch ist. Trotz beigefügtem Hartz 4-Bescheid soll ich auch noch ein „Gesamtengagement“, welches ich bei meiner Bank habe, vorlegen. Dafür habe ich absolut kein Verständnis mehr. Als ob ich über Nacht Millionär geworden wäre. Dieses Vorgehen ist eine einzigartige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und hochgradige Geldverschwendung! Hier kann endgültig davon gesprochen werden, dass sich unsere Verwaltungen in den Städten oft nur mit sich selbst beschäftigen. Und das für eine Leistung, ohne die ich nicht leben kann und die absolut verständlich sein muss. Außerdem übernimmt die Krankenkasse einen Großteil der Kosten. Es gibt jedoch auch nach drei Monaten noch keine Zusage, was einem die Sprache verschlägt und ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Aber wer jetzt glaubt, das ist das Ende der Fahnenstange, wird in den nächsten Zeilen eines Besseren belehrt. Als Rollstuhlfahrer ohne Erwerbseinkommen stehen mir so genannte Kulturfahrten zu, damit meine Teilhabe am öffentlichen und kulturellen Leben gewährleistest bleibt. Solange ich in meinem alten Appartement wohne, geht die ganze Sache noch recht erträglich über die Bühne. Zunächst gibt der zuständige und langjährige Vertragspartner des Sozialamts, das Deutsche Rote Kreuz, zu bedenken, dass ich nur bis um 18 Uhr fahren kann und sonntags ja eigentlich nur die Essensausgabe auf dem Pogramm steht. Ein schlechter Witz, seit wann finden nach 18 Uhr oder sonntags keine Kulturveranstaltungen mehr statt? Nicht mal meine Fahrten zur Kirche könnte ich so abdecken. Zu meiner Überraschung einigt sich das Sozialamt mit dem DRK auf eine Ausnahmeregelung und ich kann meine Kirchenfahrten machen.
Dumm nur, dass 3 Kilometer weiter alles zur Makulatur wird. Die Akte Kulturfahrten wird neu aufgemacht mit dem ernüchternden Ergebnis, dass der zuständige DRK-Kreisverband meines neuen Wohnorts zu den gewünschten Zeiten auf keinen Fall fahren kann. Echt der Hammer, da sind die Fahrten genehmigt und ich kann sie nicht nutzen und das jetzt schon einige Wochen. Die zuständige Dame vom Sozialamt ist sehr bemüht und meint, dass die Fahrten auch vom alten Fahrdienst übernommen werden können. Sie verspricht, es abzuklären. Als ich nach einer Woche nachhake, wie der Stand der Dinge ist, erfahre ich zunächst, dass ich jetzt einen anderen Ansprechpartner für diese Sache habe. Ich könnte kotzen: Das ist typisch Sozialamt, aus Prinzip wechseln hier die Zuständigkeiten wahnsinnig häufig, damit „zwischen Sachbearbeiter und Hilfsbedürftigen die Objektivität gewahrt bleibt und keine persönlichen Bindungen entstehen.“ So steht es in den Statuten, wirklich schön formuliert. Leittragender ist der hilfsbedürftige Bürger, da er immer wieder von vorne anfangen muss. Aber es gehört wohl zur beschriebenen Verzögerungstaktik dazu.
Vom neuen Sachbearbeiter werde ich ganz schnell abgefertigt: Der alte Fahrdienst habe keine Kapazität, er habe keine andere Lösung und ich solle selber nach einem geeigneten Fahrdienst suchen. Ach ja, und mehr kosten als beim DRK darf es natürlich auch nicht! Ich komme mir vor wie ein Idiot, denn für diese Antwort musste ich ein paar Anträge stellen und einige Wochen Geduld aufbringen. Als ich höre, wieviel das Sozialamt auf den Kilometer zahlt, fällt mir gar nichts mehr ein: 1 Euro pro Kilometer und 2 Euro Anfahrtspauschale. Total an der Realität vorbei, denn schon mit dem normalen Taxi bezahlt man von meinem Wohnort zur Kirche 18 Euro und das Amt würde lediglich 12 Euro übernehmen. Bei einem Rollstuhltransport ist der Preis natürlich ungleich höher. Es gibt Fahrdienste, die ehrenamtliche Mitarbeiter und Jugendliche mit Freiwilligem Sozialen Jahr einsetzen und dadurch die Kosten begrenzt halten können. Diese kämpfen aber ums Überleben und auf Anfrage bekomme ich entweder die Antwort, dass ich nicht zu ihrem Zuständigkeitsbereich gehöre oder dass sie nicht genügend Kapazitäten frei haben. Zwei andere Fahrdienste würden es eventuell machen, aber zu einem Wahnsinnspreis. Ich finde auch noch ein Taxiunternehmen, das alle Bedingungen erfüllt und im Vergleich recht preisgünstig ist. Dies hieße im Klartext 80 Euro für Hin- und Rückfahrt und zeigt, wie weit das Sozialamt von der Realität entfernt ist. Als letzte Möglichkeit besteht jetzt nur noch, dass ich schriftlich die Situation darstelle und auf eine schnelle Lösung dränge. Denn am Telefon werde ich lediglich mit der Aussage abgespeist, dass das Sozialamt laut Gesetz nicht mehr bezahlen könne. Also ist der Ausgang dieses Bürokratiedramas äußerst ungewiss!
Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Die deutsche Bürokratie ist ein mehrköpfiges Monster.
Die E-Gebrauchsregel des Tages: Die Sachbearbeiter in unseren Ämtern brauchen mehr Fingerspitzengefühl und Realitätsbezug.