Ein Schloss zum Verlieben

Es ist ziemlich praktisch, wenn sich der Bahnhof eines weit entfernten Reiseziels unweit von der gebuchten Unterkunft befindet. Besonders Reisende mit viel Gepäck und eingeschränktem körperlichem Durchhaltevermögen wissen das zu schätzen. Deshalb bin ich trotz verhältnismäßig entspannter Anfahrt sehr erfreut, dass das Intercity-Hotel zu Schwerin direkt am Hauptbahnhof liegt. Der Zugang zum Hoteleingang über eine äußerst schmale Rampe mit Rechtskurve stellt durchaus eine kleine Herausforderung an meine Fahrkünste. Dass es einen bequemen Nebeneingang für Rollstuhlfahrer gibt, verrät uns die Rezeption erst am letzten Tag. Abgesehen davon sind die Mitarbeiter sehr bemüht, vor allem was mein Problem mit dem Bad meines Zimmers angeht. Wieder mal ist das WC für meinen Toilettenstuhl zu hoch, aber mithilfe des sehr engagierten Haustechnikers lösen wir das Problem ganz einfach mit einer großen Holzplatte unter dem WC. Für den morgendlichen „Toilettengang“ brauche ich trotzdem beide Assistenten, da man den Toilettenstuhl anheben muss. Dies ist gleichzeitig ein sehr gutes Argument dafür, wieso ich auf Reisen zeitweise zwei Assistenten zur gleichen Zeit benötige. Wir machen ein Beweis-Video für das Sozialamt 🙂 wer weiß, für was das Video später noch gut ist!

Am ersten Abend haben wir aber noch eine andere Hürde zu überwinden. Von der Organisatorin des Beatmungs-Workshops bin ich als Referent zum Abendessen eingeladen. Wir wählen einen „Italiener“ mit leckeren Gerichten aus, der drei Stufen hat. Davon lassen wir uns allerdings nicht abschrecken, da der Inhaber höchst selbst sofort Unterstützung verspricht. Nachdem das halbe Küchenpersonal und ein sehr netter Gast im Restaurant zusammengetrommelt sind, geht es relativ sanft abwärts. Ansonsten gibt es keine besonderen Vorkommnisse, Schwerin ist recht barrierefrei und rollstuhlfreundlich. Auch die Besichtigung des traumhaften Schlosses ist trotz einiger Kopfsteinpflaster soweit kein Problem! Als wir dann die besonders interessante Ebene mit dem Thronsaal in Angriff nehmen wollen, treffen wir auf eine etwas übervorsichtige Mitarbeiterin. Sie gibt unserem Vorhaben keine Chance, da mein Rollstuhl ihrer Meinung nach viel zu schwer und zu groß für den Treppenlift im obersten Stock ist. Ich bin mir da nicht so sicher, da ich schon mit einigen Treppenlifts gefahren bin und es eigentlich immer geklappt hat. Deshalb wird die Vorrichtung von mir vor Ort in Augenschein genommen und wenige Minuten später bin ich auf der Ebene des Thronsaals. So kann man sich täuschen…

Später kommen wir in einen kräftigen Gewitterschauer, finden aber zum Glück ein Restaurant, in das wir hineinflüchten können. Bei nur noch leichtem Nieselregen stellen wir uns an die Bushaltestelle und sind erleichtert, als wir im Bus sind. Das gute Gefühl ist leider nur von kurzer Dauer. An der nächsten Haltestelle steigt ein recht alter Mann mit seinem Rollator ein, der sich leider als egoistischer und rücksichtsloser Zeitgenosse entpuppt. Als er merkt, dass er nicht sofort an meinem Rollstuhl vorbeikommt, vollführt er ein Riesentheater und will auf der Stelle durch. Tobias versucht vergeblich, ihn zu beschwichtigen und wird langsam aber sicher böse. Um für Ruhe zu sorgen, fährt mich Tobias ein kleines Stück nach vorne, damit der „Alte“ vorbeikommt. Im Eifer des Gefechts ein gutes Stück zu weit und ich krache mit meiner Fußstütze gegen einen Pfosten. Sofort ist klar, dass mit meinem rechten Fuß etwas passiert ist. Ich ärgere mich wahnsinnig und kann einfach nicht anders, als diesen Mitmensch zu beschimpfen. Ich habe ja für gewöhnlich viel Geduld, aber irgendwann reicht’s! Die Schmerzen verschwinden durch den Ärger dummerweise nicht.

Mein Schmerzgel allein reicht nicht und als wenig später die Apotheken geschlossen haben, hilft mir zum Glück eine sehr nette Hotelmitarbeiterin mit Schmerzmittel aus. Die Schlossbeleuchtung können wir trotzdem vergessen – denke ich zumindest. Nachdem Tobias sich von dem ganzen Theater erholt hat, hat er eine tolle Überraschung für mich. Er schlägt vor, die Schlossbeleuchtung vom Hotel aus zu beobachten und mit Hilfe unseres Fotostativs zu fotografieren. Das sollte sich als super Idee erweisen und lässt mich meine Schmerzen zwischendurch vergessen!

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: die meisten Hürden sind überwindbar, aber nicht der Egoismus und die Starrköpfigkeit mancher Mitbürger!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: es ist mitunter hilfreich, sich auf die Erfahrungen eines E-Rollstuhlfahrers verlassen.