Neujahrs-Konzert mit Hindernissen

Wie könnte ich das neue Jahr besser beginnen als mit einem klassischen Konzert: Es ist das Neujahrskonzert in der Heidelberger Stadthalle mit den Heidelberger Philharmonikern und zwei Heidelberger Top-Solistinnen als Hauptprotagonisten. Wie durch ein kleines Wunder bin ich dieses Mal richtig gut in der Zeit und fahre ganz entspannt mit dem Taxi zur Stadthalle. Am Seiteneingang für Rollstuhlfahrer klingeln wir und warten keine zwei Minuten, bis ein äußerst höflicher Mann im Anzug erscheint und uns freundlich begrüßt. Soviel Glück hat der Rollstuhlfahrer bzw. die Rollstuhlfahrerin leider nicht immer. Ohne größere Probleme fahre ich auf den großen Treppenlift, den ich aber nicht besonders gern mag. Er hat zwei große stählerne Schwenkarme, die elektrisch nach unten klappen, sobald ich auf der Plattform stehe. Meine große Sorge ist dann immer, dass entweder der Menübildschirm meines Rollstuhles zertrümmert wird oder mein Beatmungsgerät etwas abbekommt. Diesmal geht alles gut, ich muss zwischendurch lediglich den Atem anhalten, als der Lift kurz hintereinander zweimal stoppt.

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Oben angekommen schnaufe ich erst einmal erleichtert durch. Aber jetzt wird es erst recht stressig: Ich lasse mich richtig in den Rollstuhl ziehen und meine rechte Hand verrutscht natürlich völlig. Bis wieder alles stimmt und mein Rollstuhl endlich anspringt, vergeht sehr viel Zeit, zu viel Zeit!! Es ist wie so oft reine Nerven-Sache! Durch meine äußerst sensible Rollstuhl-Steuerung entstehen häufig diverse Probleme. Zum Beispiel dass ich durch eine leichte Berührung ungewollt auf den Steuerknüppel drücke und der Rollstuhl eine Fehlermeldung produziert. Soweit so gut, nachdem ich also endlich wieder in der Senkrechten und somit startklar bin, fahre ich so schnell wie möglich an meinen Sitzplatz. Wobei nur meine Assistentin einen festen Platz hat. Es ist als Rollstuhlfahrer ein großes Privileg, dass man quasi freie Platzwahl hat und sich einfach überall hinstellen kann. Fluchtwege sollte man allerdings tunlichst meiden.

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In der Pause gibt es einen Neujahrs-Umtrunk mit Champagner für die Konzertgäste. Mir ist es allerdings viel zu stressig, ins Foyer zu fahren, wo sich die Menschen dicht an dicht drängen und ein hoher Lärmpegel herrscht. Unter solchen Voraussetzungen ist es mir nahezu unmöglich, mich angemessen mit meiner Assistenz, geschweige denn mit anderen Mitmenschen zu unterhalten. Meine kleine Hoffnung, dass meine Assistentin ein Gläschen direkt an meinen Platz bringen kann, macht einer der Saal-Ordner zunichte. Klar, da könnte ja jeder kommen und die vorgeschriebene Ordnung zerstören. Das geht natürlich nicht, ist außerhalb des Protokolls!! Selbstverständlich hätte ich auch bis zum Ausgangs des Saales fahren können, mir geht es ja nicht um irgendwelche Sonderstellungen. Aber es ist einfach so schön exemplarisch für deutsche Bürokratie und Unflexibilität. Wäre der Ordner etwas offener und sensibler gewesen, hätte er vielleicht sogar eine Ausnahme gemacht. Ich muss über die Sache schmunzeln, zumal der Champus laut meiner Assistentin nicht gerade der Hammer war.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Es wird stressig, wenn einem der E-Rollstuhl nicht gehorcht.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Menschen müssen auch mal von ihrem festen Protokoll abweichen können – das ist cool!