Inklusion: Unwort des Jahres

Bevor das neue Jahr richtig losgeht, möchte ich noch einmal ein Schlaglicht auf das vergangene Jahr werfen. Schon ein paar Jahre ist uns Deutschen die Inklusion ein Begriff. Vergangenes Jahr scheint „Inklusion“ endgültig zum Lieblingsthema vieler Entscheidungsträger in Gesellschaft, Politik und Selbsthilfe geworden zu sein. Allerdings – es ist kaum zu glauben – manche Menschen wissen tatsächlich immer noch nicht, was Inklusion eigentlich bedeutet. Deshalb an dieser Stelle eine kurze Nachhilfe: Inklusion besteht dann, wenn alle! Menschen ganz selbstverständlich in die Gesellschaft mit eingeschlossen sind. Heißt im Klartext, dass die Gegebenheiten im Alltagsleben für die Bedürfnisse von behinderten Menschen geeignet sind und die Bürger ihre Mitmenschen mit Behinderung als normale Partner ansehen und sie ernst nehmen. Der Idealfall wäre, wenn die Umwelt und der Lebensraum so barrierefrei gestaltet sind, dass die Heterogenität der Menschen gar nicht mehr relevant ist.

Traurig also, wer davon noch nichts mitbekommen hat! Aber viel schlimmer sind die Leute, die ständig davon reden, aber nicht danach handeln. Das gilt vor allem für unsere Politiker, die sich oft inflationär solcher Schlagwörter bedienen. Den Begriff „Inklusion“ kann langsam kein Mensch mehr hören! Taten sind gefragt, was angesichts einiger Negativbeispiele durchaus anzuzweifeln ist:

cdu.jpg w=584Da wäre unter anderem Merkels Ansprache zum Tag der Menschen mit Behinderung, worin sie betont, dass wir eine Gesellschaft sein sollen, die Menschen mit Behinderung nicht behindert. Das gilt allerdings auch für den Staat und genau darin liegt oft das Problem. Gesetze, die beispielsweise verhindern, dass Menschen mit Assistenzbedarf etwas ansparen dürfen und im Falle einer Ehe den Partner maßgeblich zur Kostendeckung der Pflege heranziehen, bewirken das glatte Gegenteil. Den eher geringen Stellenwert der Inklusion für die Politik verdeutlicht die Tatsache, dass die Besetzung des Behindertenbeauftragten der neuen Regierung nur zweitrangig war. Bei den Koalitionsverhandlungen in Hessen haben es die Verhandlungspartner nicht einmal geschafft, einen Behindertenbeauftragten festzulegen, es wird lediglich als Option gesehen.

2-format4Die Diskrepanz zwischen „davon sprechen“ und „umsetzen“ wird auch am Beispiel des Fernbusses, Deutschlands neuem Bahn-Ersatzverkehrsmittel Nummer eins deutlich. Auf Betreiben des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) wurde in letzter Minute eine Klausel in das Personenbeförderungsgesetz übernommen, die eine barrierefreie Ausstattung aller ab 2016 neu zugelassenen Fernbusse und ab 2019 aller eingesetzten Fernbusse vorsieht. Bei den momentanen Regelungen gibt es freilich erhebliche Lücken, und sowohl Selbsthilfeverbände als auch Busanbieter bemängeln, dass der Gesetzgeber keine klaren Mindeststandards oder Richtlinien definiert. Auf der anderen Seite gibt es Lichtblicke: So hat der ADAC mit dem Postbus den ersten Vorstoß gewagt und setzt seit November 2013 auf der Strecke Hamburg – Berlin in einer Versuchsphase insgesamt sieben Fernbusse ein, die mit Rollstuhlsitzplätzen und einer Rollstuhlrampe im vorderen Einstiegsbereich ausgestattet sind. Sogar die Deutsche Bahn mischt mit: Sowohl bei den beiden Busbetreibern Haru und BEX innerhalb des BerlinLinienBus als auch beim IC Bus, bei denen sie beteiligt ist, werden bereits jetzt erste rollstuhlgerechte Fernbusse eingesetzt. Die fehlenden rollstuhlgerechten Toiletten kompensieren die beiden Linienbetreiber durch Halte an Raststätten mit rollstuhlgerechten Toiletten. Die Fahrer sind dazu angehalten, beim Ein- und Ausstieg sowie beim Aufsuchen der WCs behilflich zu sein. Wir sehen also, dass es geht und Inklusion in einigen Köpfen schon angekommen ist. Bus_02.jpgBis zu einer vollständig inklusiven Gesellschaft bleibt jedoch noch sehr viel zu tun. An vielen Stellen hakt es noch gewaltig, ABER! – da muss ich Kanzlerin ausnahmsweise mal recht geben – es hat sich schon Einiges getan und es gab im letzten Jahr viele positive Ansätze. Man denke nur an die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Baden-Württemberg. Der Behindertenbeauftragte hat die Basis – Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und Freunde sowie Selbsthilfevereine und -verbände – in vier Regionalkonferenzen (marcel-gibtgas berichtete) angehört, damit die Politik ihre Anregungen in zukünftige Entscheidungen mit einbeziehen kann. Selbsthilfeverbände in Deutschland haben bereits viel bewirkt, indem sie immer wieder öffentlich unermüdlich auf bestehende Mängel hinweisen und somit viel Druck auf die Politik ausüben. Klar können auch sie keine Wunder vollbringen und in vielen Bereichen gibt es noch Nachholbedarf, wenn ich nur an den öffentlichen Nahverkehr denke. Auch wenn wir mit Blick auf manch andere Länder auf hohem Niveau jammern. Inklusion_Logo_weiss_396x274Die wichtigste Aufgabe fürs neue Jahr besteht weiterhin darin, dass die Menschen ihre Barrieren im Kopf beseitigen, welche der Inklusion im Wege stehen. Die Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderung gehören ausgeräumt. Genauso die Befürchtungen, die viele Mitmenschen davon abhalten, sich auf ihre Mitmenschen mit Behinderung einzulassen.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Ärgere dich nicht so sehr, wenn über Inklusion lediglich gesprochen wird. Freue dich vielmehr über die Dinge, die schon inklusiv sind und setze dich mit deiner ganzen Persönlichkeit für mehr Inklusion ein!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Jeder kann etwas zur Inklusion beitragen; es spielt keine Rolle, wie groß dieser Beitrag ist, er bewirkt etwas!