Glossar

Muskeldystrophie:
Meine Krankheit heißt Muskeldystrophie Duchenne und ist eine erblich bedingte fortschreitende Muskelkrankheit, die alle Muskeln betrifft. Bemerkbar macht sich die Krankheit meistens zuerst beim Treppensteigen und am Bewegungsablauf, besonders beim Gehen. Die Krankheit verläuft von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Das Übergreifen der Muskelschwäche auf Arme, Hände, Lunge und später auch Herz betrifft alle Muskeldystrophiker gleichermaßen. Meistens werden zwei Operationen durchgeführt: Sehnenverlängerungen (durch die geringere Muskeltätigkeit und Bewegung verkürzen sich die Sehnen) und Stabilisation der Wirbelsäule durch Einbau eines Stabilisationsstabes. Da die Wirbelsäule ebenfalls aus Muskeln besteht, ist sie irgendwann nicht mehr stabil. Dann raten die Ärzte wie in meinem Fall zu einer Stab-OP.  Bei mir wurde eine U-förmige Teleskopstange aus Platin eingebaut.

 

Der E-Rollstuhl:
Der wichtigste Gegenstand im Leben eines Muskeldystrophikers ist ein funktionsfähiger E-Rollstuhl. Je nach Modell wiegt er zwischen 250 und 300 kg, fährt bis zu 10 km/h schnell und läuft etwa 20 km weit. Die Reichweite ist abhängig von der Beschaffenheit der Fahrtstrecke. Wenn es oft den Berg hochgeht und man im Stop and Go – Modus unterwegs ist, hält der Akku maximal halb solange. Egal wie leer der Akku ist, wird der E-Rollstuhl mit einem Ladegerät über die Steckdose jede Nacht aufgeladen.

Der E-Rollstuhl muss genau an den Körper und die Bedürfnisse jedes Einzelnen angepasst werden. Dies ist nicht einfach, da es auf jeden Millimeter ankommt und gute Rollstuhlmechaniker rar sind. Die richtige Sitzposition ist sehr wichtig, da sich diese auf meine gesamte Haltung auswirkt und ich sehr schnell Druckstellen bekommen kann. Das Worst-Case-Szenario für jeden Dystrophiker tritt ein, wenn am E-Rollstuhl nichts mehr funktioniert und er sprichwörtlich lahmgelegt ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hightech-Steuerung:
Hightech-Steuerung: Ich fahre meinen E-Rollstuhl mit einer so genannten „Null-Wege-Steuerung“. Denn der Stick muss nicht ausgelenkt werden, sondern er reagiert allein auf den Druck meines Daumens. Schon das geringste Drücken reicht aus, um den Rollstuhl in Bewegung zu setzen.
Da einerseits die Steuerung so sensibel ist und ich andererseits sehr wenig Kraft habe, muss meine Hand exakt auf einer Armauflage liegen. Damit ich gleichzeitig geradeaus, Kurven oder rückwärts fahren kann, muss nicht nur alles zusammenpassen, es braucht auch immer etwas Glück. In der praktischen Anwendung können zusätzliche Schwierigkeiten auftreten, ich beschreibe einmal die vier häufigsten Fälle.

1) Je nach Sitzposition bekomme ich zuviel Druck auf meinem rechten Arm und er schläft mir ein. 2) Wenn es draußen sehr heiß ist, schwitze sogar ich und rutsche von der Steuerung ab. 3) Manchmal komme ich laufend an einen Berührungssensor, mit dem ich zwischen Fahren und anderen Funktionen switche. Das Fahren wird dann natürlich abrupt unterbrochen. 4) Das Schlimmste ist, wenn die Hand kalt wird, weil die Durchblutung dann schlechter ist und ich die Hand kaum mehr bewegen kann. Mit der rechten Hand mache ich quasi alles, was noch ohne Handreichung möglich ist. Viele Muskeldystrophiker wie ich benutzen eine Sprachsoftware und eine Bildschirmtastatur.

 

Umfeldsteuerung:                                                                                                                  Mit meiner Rollstuhlsteuerung ist viel mehr möglich, als nur Gas zu geben. Mittels einer Infrarotschnittstelle und einem kleinen Menübildschirm an meinem Rollstuhltisch bin ich in der Lage, den PC zu steuern, die Stereoanlage und den Fernseher zu bedienen und seit neuestem auch noch Telefonanrufe selbstständig zu starten und anzunehmen. Und es wäre noch mehr möglich, aber für mich ist es schon jetzt die höchste Form der Selbständigkeit.

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Spracheingabe:                                                                                                                     Die Spracherkennung von Dragon ist zusammen mit meinem Mikrofon-Headset mit das wichtigste Hilfsmittel für mich. Vereinfacht ausgedrückt: Ich spreche und der Computer schreibt. Auch wenn die Software nicht immer perfekt funktioniert und mich das System schon einige Nerven gekostet hat, möchte ich trotzdem auf keinen Fall mehr darauf verzichten.

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Handwärmer:
Die beste Erfindung gegen kalte Hände ist ein so genannter Handwärmer nach Maß. Das Prinzip ist relativ einfach und wahnsinnig effektiv: In einem Plexiglaskasten ist ein kleines Gebläse, das auch mit verschiedenen Temperaturstufen die Hand belüftet. Das Ganze ist so konzipiert, dass der Kasten einfach über die Hand auf den Rollstuhltisch gestellt und ans Bordnetz des Rollstuhles angeschlossen wird. Dadurch, dass dieses Teil wie ein Brutkasten funktioniert, ist die Hand auch vor Luftzug geschützt und bleibt warm. Der Winter wird so wesentlich erträglicher.

 

 

 

Toiletten-Stuhl:
Die morgendliche Routine ist ohne dieses Gefährt unmöglich. Waschen, Duschen und der Klogang gehören zum Standardprogramm. Manchmal beträgt die Arbeitszeit des WC-Stuhls bis zu 2 Stunden am Tag.

 

 

 

 

Heizweste und -sohlen:
Da ich wenig Fettpolster habe und sehr schnell friere, muss ich im Winter zu besonderen Mitteln greifen. Für die Füße, die auf Grund der geringen Durchblutung sowieso meistens kalt sind, benutze ich Heizsohlen, die in die Stiefel gelegt werden. Eigentlich sind diese Sohlen für Skischuhe konzipiert. Die Heizweste ist nichts anderes, wie eine beheizbare Jacke ohne Ärmel und funktioniert problemlos. Damit ist auch im Winter der Stadionbesuch gewährleistet.

 

 

 

Beatmungsgerät:
Irgendwann wirkt sich die Muskelschwäche auch auf die Lungenfunktion aus. Die Lunge ist zwar nicht krank, aber es fällt zunehmend schwer, einzuatmen. Dies erfordert Kraft, welche der Muskeldystrophiker nur noch in begrenztem Maße zur Verfügung hat. Deshalb ist es notwendig, dass er von einem Beatmungsgerät unterstützt wird. Dies sieht zwar durch die Nasenmaske spektakulär aus, ist aber im Prinzip ganz einfach: Das Gerät übernimmt den Einatmungsvorgang, in dem es Umgebungsluft ansaugt, diese filtert und mit etwas Druck in die Lunge leitet. Dadurch kann der Betroffene ausruhen und sich wesentlich besser konzentrieren.

 

 

 

Beatmungsbeutel, genannt Ambu-Beutel:                                                                          Ich hänge fast 24 Stunden an meinem Beatmungsgerät, was mir nicht unbedingt gefällt. Deshalb versuche ich regelmäßig, kürzere Zeitabschnitte ohne Beatmungsgerät auszukommen. In manchen Situationen wäre es allerdings sehr unangenehm, wenn das Gerät plötzlich ausfallen würde. Für diesen Fall habe ich einen tragbaren Beatmungsbeutel dabei, der im Notfall – mittels gleichmäßigem Drücken meiner Helfer – die Funktion meines Gerätes annähernd ersetzt.

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Lungenentzündung:
Der größte Feind des Muskeldystrophikers, den es wenn möglich zu verhindern und im Ernstfall unbedingt zu bekämpfen gilt, ist die Lungenentzündung. Zur Vorbeugung schwören manche Dystrophiker wie ich auf die Homöopathie. Daran muss man allerdings glauben, sonst funktioniert es nicht. Kommt es tatsächlich zu einer Lungenentzündung, führt an Antibiothika kein Weg vorbei. Dass Problem bei Erkältungen ist generell, dass Muskeldystrophiker nicht richtig abhusten können und sie sich schwieriger vom Schleim wieder befreien können.

 

Flexible Buchständervorrichtung:
Für mich ist es sehr wichtig, dass ich in meinem E-Rollstuhl lesen kann. Ich genieße es vor allem, dies auf meiner schönen Terrasse zu machen. Dazu lasse ich eine Kunststoffauflage, die passend geformt ist, auf meinen Rollstuhltisch legen. Darauf liegt ein Buch mit einem Buchständer obendrauf. Der Buchständer ist für verschieden dicke Bücher einstellbar und die Seiten der Lektüre sind durch einen Bügel verklemmt. Gewagte Konstruktion, aber es funktioniert!

 

 

Leseständer:
Wenn ich im Bett lesen möchte, benutze ich dieses Gerät. Es ist ein kleines technisches Wunderwerk, da es Bücher und Zeitschriften automatisch blättert und in die Leseposition bringt. Es ist der Traum von Vielen, im Bett lesen zu können, ohne etwas in der Hand halten zu müssen.

 

 

 

Trinkhilfe:                                                                                                                             Da für mich das Trinken im Sitzen sehr mühsam ist und ich nicht für jeden Schluck einen Helfer rufen möchte, habe ich lange Zeit zu wenig getrunken. Daher ist dieser flexible Schwenkarm, der auf meinem Tisch befestigt wird, eine super Unterstützung. Seit ich ihn besitze, trinke ich wieder deutlich mehr.

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10.481 Gedanken zu „Glossar

  1. Hallo Marcel,
    toll, was die Technik alles ermöglicht. Hast du Lust an unserer Blogparade teilzunehmen? Sie hat das Thema „Wie Technik mein Leben erleichtert“. Wenn ja, schreib mir doch einfach eine Mail.

  2. Hallo Marcel, dein Handwärmer ist sehr interessant für mich, weil ich im Winter auch immer kalte Hände habe. Wie baut man den und wer hat das für dich gemacht?
    Liebe Grüße
    Gerlinde

  3. Hallo Marcel,

    super dein Artikel im Muskelreport.
    Ich bin selbst E-Rollstuhlfahrerin u Muskeldystrophikerin und meist auf Stufe 5 unterwegs. Mein Kollege hat sich mal den Spaß erlaubt auf unserem ziemlich langen Büroflur, den er zur Tempo30Zone erklärt hat, eine Art Blitzgerät aufzustellen (ein Fotoapparat auf einem Stativ am Ende des Flures)….
    Mein Mann Stephan ist bei der Arbeitsagentur in Stralsund für Arbeitgeber zuständig, die Menschen mit einem handicap einstellen wollen. Er würde dich sehr gern (wenn vielleicht auch nur mit praxisnahenTipps) bei der Jobsuche unterstützen und sich sehr freuen, wenn du dich mal bei ihm meldest:
    stephan.schneider2@arbeitsagentur.de
    Wer macht eigentlich die tollen Zeichnungen?

    Liebe Grüße
    Silke

  4. Hallo Marcel, sehr, sehr schön von dir zu hören! Und das hochinteressant! – Gestern noch sprach ich kurz mit Kathrin R. im FuF / Fasanenhof. Sie berichtete von deinem Blog. Und heute kommt er schon dahergeschwirrt!! Der tiefe, weitreichende Einblick, den du uns damit in deinen Alltag möglich machst – und so detailliert konnten zumindest meine ’sehenden Augen‘ das alles noch nie wahrnehmen… („mit sehenden Augen sehen sie nicht…“) -, … ist eine echte Horizont-Erweiterung! Ich wollte dir einfach sofort einen lieben Gruß zurück schicken, obwohl ich noch gar nicht viel in deinem Blog rumgestöbert habe. Was ich bis jetzt gesehen habe, wird dafür sorgen, recht bald wieder ein buchstäbliches Comeback zu dir und deinem Blog zu erleben! Sobald mir dafür ein paar ruhige Minuten zur Verfügung stehen… Ich finde es einfach toll, mach weiter so! Ich wäre froh, ich könnte so formulieren wie du!! Sei herzlich gegrüßt von den 4 G aus G! Dein Reinhold

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