Teil 2: Die große Frage nach der geeigneten Unterkunft

Eine ganz entscheidende Frage für den Barcelona-Aufenthalt war die nach der richtigen Unterkunft. Bei der Suche danach habe ich es mir nicht leicht gemacht: Nach guten Erfahrungen mit airbnb-Wohnungen in London und Paris versuchte ich, dieses kostengünstige Modell auch für Barcelona zu wählen. Allerdings musste ich nach tagelanger erfolgloser Suche einsehen, dass es keinen Zweck hatte. Da Barcelona sehr eng bebaut ist, sind die Wohnungen alle eine Nummer kleiner als in Deutschland und in der Regel nicht für E-Rollstühle ausgelegt. Also griff ich letztlich doch auf die mir mehrfach empfohlene Apartment-Hotelanlage MIC Sant Jordi mit vollständig rollstuhlgerechten Ferienwohnungen, Kochmöglichkeit und direkter Anbindung an das U-Bahn-Netz zurück.

vor der Appartment-Anlage

Da vollumfängliche Barrierefreiheit immer mehr kostet, wurde es leider etwas teurer, aber im Nachhinein war es ein echter Glücksgriff. Vor allem meine ReisebegleiterInnen waren ziemlich begeistert, da es für sie ein separates Assistenzzimmer mit Bad gab. Für mich stand ein elektrisch verstellbares Pflegebett bereit, was meiner Assistenz sehr zugute kam. Bislang hieß es immer eine Woche Rücken strapazieren wegen viel zu niedrigen airbnb- und Hotelbetten. Außerdem war das Apartment sehr geräumig, sodass sogar noch ein guter Kumpel von mir bei uns wohnen konnte, der seinen Kostenanteil übernahm.

Wohn- und Essbereich

Es war jeden Abend ein schönes Gefühl, in die Unterkunft zurückzukommen. Dort bekamen wir freundlich über alles Notwendige Auskunft inklusive Freizeittipps und es war problemlos möglich, Wäsche zu waschen. Gebucht habe ich das ganze sehr unkompliziert über die Organisation Barcelona-Enabled, die Menschen mit Behinderung bei der Planung und Durchführung ihres Aufenthalts in Barcelona unterstützt. Meine Fragen stellte ich per E-Mail und ließ mal wieder wie immer kein Detail aus. Trotzdem bekam ich jede Frage schnell und kompetent beantwortet.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Eine speziell rollstuhlgerecht ausgestattete Ferienwohnung ist eine tolle Sache.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Lass einen E-Rollstuhlfahrer so viele Fragen zur Unterkunft stellen wie er möchte: Denn er ist darauf angewiesen und außerdem gibt es sowieso keine blöden Fragen!

Fotos: Florian Müller

Barcelona mit dem Zug? Nichts ist unmöglich.. :-)

Wer träumt nicht von der katalanischen Perle Barcelona? Spätestens nach der folgenden kleinen Serie über die tolle Stadt am Mittelmeer, sollten dies zumindest alle Rollstuhl- und E-Rollstuhlfahrer dieser Welt tun. Aber eigentlich auch alle anderen 🙂

Im dritten Anlauf hat es endlich geklappt! Nachdem ich schon zweimal nach Barcelona wollte und es entweder zu kompliziert oder zu teuer war, haben ich und meine wunderbaren Reiseassistenten diesmal alle Widerstände aus dem Weg geräumt.

Die erste entscheidende Frage, wie ich nach Barcelona komme, hatte ich für mich schon länger beantwortet, nämlich mit dem Zug. Eigentlich verrückt, aber mit einem Rollstuhl, der hypersensible Elektronik an Bord hat, eine Flugreise zu machen, klingt für mich noch viel verrückter. Erst recht wenn man nach über zwei Jahren Vorarbeit einen neuen E-Rollstuhl fahren darf, der einem das Leben auf allen Ebenen immens erleichtert! Das Problem beim Fliegen ist, dass man irgendwann den Rollstuhl verlassen muss und dessen Schicksal in fremde Hände legt. Bei einer persönlichen Lebensversicherung, wie es mein Rollstuhl für mich ist, überlegt man sich das dreimal.

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… los geht’s in Karlsruhe!

Angemeldet habe ich die komplette Bahnfahrt wie immer über die Mobilitätszentrale der Deutschen Bahn inklusive Ticketbuchung. Dabei hat es sich gerade bei dieser langen und komplexen Reisestrecke als großes Plus erwiesen, alles per E-Mail abzuwickeln. Dies hat den Vorteil, dass die Anfrage gleich eine/r der fähigsten MitarbeiterInnen beantwortet. Die Tücken einer transeuropäischen Bahnreise blieben mir allerdings nicht erspart – nach meiner Reise war mir zumindest vollkommen klar, wieso EU-Politik und -Kommunikation so schwierig ist!

Dazu folgende Anekdote: Bei der Reiseplanung finde ich heraus, dass ich dieses Mal TGV fahren werde und das Modell TGV Euro Duplex rollstuhlgerecht ist. Dieser verkehrt auf der Strecke Mannheim-Paris und ich bekomme die solide Auskunft, dass mein Rollstuhl maximal 75 cm breit sein darf und es einen geeigneten zuggebundenen Hublift gibt. Für den weit längeren Abschnitt Paris-Barcelona ist keine Aussage mehr drin: „Also dafür ist die französische Bahn zuständig, wir wissen nicht, welche Züge auf dieser Strecke verkehren.“ Eigentlich dachte ich immer, wer Tickets verkauft, sollte auch wissen, ob die zugehörigen Züge rollstuhlgerecht sind. Mal wieder ist Eigeninitiative gefragt und nach einer längeren Recherche bin ich mir zu 90 % sicher, dass der TGV Euro Duplex nach Barcelona fährt. Also alles gut!? Scheinbar, denn 2 Wochen vor der Abreise bekomme ich die Auskunft der Deutschen Bahn, das der Bahnhof Barcelona die Ausstiegshilfe abgelehnt hat. Den Vogel schießt freilich die Aussage der Bahnmitarbeiterin Art: „Fahren Sie doch einfach nur bis Frankreich.“ Ihr anderer überaus erbauender Vorschlag, alles auf einen anderen Tag umzubuchen ohne Garantie, dass es dann eine Zusage gibt, kommt ebenfalls nicht infrage. Ich koche innerlich, aber es ist mir auch relativ schnell klar: Bei so einem großen internationalen Bahnhof ist es kaum vorstellbar, dass ich nicht ausgeladen werde und außerdem muss ich so oder so raus aus dem Zug. Kann ja schließlich nicht darin übernachten… 🙂

Liegen auf dem Lamzac im TGV

Nach Absprache mit meinen Assistenten für die Hinfahrt steht fest: Wir ziehen das Ding durch! Und das, obwohl meine Begleiter für den Abschnitt nach Barcelona ihre zugewiesenen Plätze auch noch in anderen Waggons haben… Aber das war schon mal so und wir haben wieder Glück, dass neben meinem Rollstuhlplatz genug Sitzplätze frei bleiben. Zudem habe ich die „Rollstuhlbucht“ für mich alleine und kann mich sogar hinlegen. Für die überaus netten Zugbegleiter und ein Pärchen mit Kinderwagen ist das kein Problem. Bezüglich Ausstieg können wir uns auf Englisch ganz gut mit ihnen verständigen. Wir erfahren, dass sie im Notfall den TGV-Lift bedienen können und wir haben erst mal eine Sorge weniger. In Barcelona wartet aber ohnehin bereits ein netter Bahnhofsmitarbeiter und hilft uns beim Ausstieg! So viel zur Kommunikation im europäischen Fernverkehr.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Mit dem Zug kommst du fast überall hin, du musst es nur wollen.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Beim transeuropäischen Fernverkehr sollte die Deutsche Bahn ihre Kunden im E-Rollstuhl besser und zielsicherer informieren. Dafür ist zukünftig aber etwas mehr Engagement und Sensibilität nötig!

Fotos: Florian Müller und privat

Für alle, die sich für eine Zugreise mit dem E-Rollstuhl nach Barcelona interessieren, habe ich noch ein paar Links aufgeführt. Bei Rückfragen könnt ihr mir auch gerne eine E-Mail schreiben.

https://mobilista.eu/195/bahn-verguenstigungen-im-ausland-mit-deutschen-schwerbehindertenausweis/

https://www.seat61.com/Spain.htm

https://tgv-france.jimdo.com/sitzpl%C3%A4ne/

https://www.barcelona-tourist-guide.com/en/transport/stations/estacio-sants/disabled-facilities-barcelona-sants.html

http://www.renfe.com/EN/viajeros/atendo/servicio_atendo.html

Start ins neue Jahr mit Nachwirkung

Ich fahre schon während der Zugabe aus dem Saal, um später nicht in den Menschenmassen steckenzubleiben. Draußen im Foyer fahre ich Richtung Eingang und postiere mich an einer geschickten Stelle, wo ich möglichst nicht im Weg stehe. Meine Assistentin holt unsere Jacken und zieht mich an. Ihre Kollegin, die heute bei mir Nachtdienst hat und sie ablöst, steht schon bereit. Jetzt müssen wir nur noch warten, bis der freundliche Mitarbeiter von vorhin den Aufzug holt. Zum Glück nehmen wir dieses Mal die Lastenhebebühne, die außen am Gebäude hoch- und runterfährt. Die Ladefläche ist schön groß und ich habe nicht jeden Moment Angst, runterzustürzen. Außerdem befindet sich die Plattform der Hebebühne nur wenige Meter neben dem Taxistand, wo mein Abholservice bereits wartet. Da ich mittlerweile ziemlich schief im Rollstuhl sitze und Gefahr laufe, während der Fahrt den Berührungssensor auf meinem Rollstuhltisch neben der Steuerung auszulösen, lasse ich diesen mit einem kleinen Schalter seitlich am Rollstuhl ausschalten. Ziemlich blöd ist, dass man nicht erkennt, falls der Sensor ausgeschaltet ist. Zudem handelt es sich um eine neue Funktion, die meine Helfer noch nicht automatisiert haben. Deshalb kommt es wie es kommen musste: der Sensor ist immer noch aktiviert, was ich nicht ahne. Der Rollstuhl macht genau das, was ich nicht will und beschert mir um ein Haar einen gebrochenen Fuß.

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Ominöser roter Schalter

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Steuerknüppel und silberner Berührungssensor

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Die Neigung meines Rollstuhlsitzes fährt plötzlich von alleine immer weiter hoch und meinen linken Fuß, der an der Ferse etwas mit der Fußstütze verklemmt ist, biegt es mit einer gefühlten gigantischen Kraft immer weiter nach unten. Bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann, schießt Panik in mir hoch und ich rufe nur verzweifelt: „Mein Fuß, mein Fuß, oh nein mein Fuß…!“ Hätte ich den Rollstuhl einfach schnell ausschalten lassen, wäre vielleicht nichts passiert. Aber das sagt sich hinterher immer leicht. Nach ein paar Sekunden des Schocks lasse ich meinen linken Fuß, der unter einer großen Spannung verklemmt ist, nach vorne ziehen. Zum Glück funktioniert das relativ problemlos und dank meines hohen Adrenalinpegels verspüre ich keine allzu großen Schmerzen. Natürlich pocht der Fuß wie wild… Das in diesem Moment viel größere Problem ist, dass ich komplett nach oben geneigt bin, mein Kopf etwas nach hinten hängt und ich keine Chance mehr habe, an meinen Steuerknüppel zu kommen. Es hilft alles nichts, nun muss meine Assistentin mit meinem Steuerknüppel durch das Menü meiner Rollstuhlsteuerung navigieren. Das ist alles andere als einfach, da die Steuerung auf meinen persönlichen Kraftverhältnisse ausgelegt ist und jeder andere dafür viel zu viel Kraft hat. Nach einigen Fehlversuchen klappt es endlich und mein Rollstuhlsitz fährt wieder nach unten. Nun bin ich abfahrbereit und atme trotz der unangenehmen Begleiterscheinungen tief durch.

IMG_1260IMG_1256                                                                Unser Glück ist, dass die Taxifahrerin sehr geduldig wartet, während sich in ihrem Taxi ein mehr oder weniger übliches Neujahrs-Drama abspielt. Andere Fahrer wären vielleicht panisch geworden und hätten irgendwann rumgenervt, dass sie aber nicht mehr den ganzen Abend Zeit hätten. Die Fahrerin frägt mich, ob sie nicht gleich ins Krankenhaus fahren soll, aber ich lehne sofort ab. Da ich schon relativ lange im Rollstuhl sitze, wären mir geschätzte weitere 3 Stunden definitiv zu viel des Guten. Natürlich hoffte ich insgeheim, dass es nicht ganz so schlimm ist und ich noch einmal um einen Krankenhaus-Besuch herumkomme. Als ich im Bett liege und den Schuh ausgezogen habe, fühlt es sich sogar relativ gut an. Zum Glück hat meine Assistentin kleine Kinder und daher für Notfälle alles Zuhause: Fiebersaft, Schmerzsalbe und Kühlpacks. Wir cremen den Fuß ein, wickeln einen Verband darum und legen ein Kühlpack darauf. Zunächst fühlt sich das sehr gut an und ich gebe meiner anderen Assistentin und Konzert-Begleiterin erste Entwarnung. Später entwickelt sich aber ein ziemlicher Schmerz, was mich angesichts der irrsinnigen Kräfte, die auf meinen Fuß gewirkt haben, eigentlich nicht wirklich wundert. Irgendwann geht es nicht mehr anders und ich greife zum Schmerzmittel, aber die Nacht verläuft trotzdem nicht sehr angenehm. Am nächsten Morgen ist der Fuß ziemlich blau und jede falsche Bewegung tut weh. Meine Assistentin fleht mich förmlich an, die Sache im Krankenhaus abklären zu lassen. Zähneknirschend stimme ich zu.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Mein E-Rollstuhl birgt ein unkalkulierbares Gefahrenpotenzial in sich.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Mit etwas Geduld und Fingerspitzengefühl kann man eine große Hilfe sein.

Neujahrs-Konzert mit Hindernissen

Wie könnte ich das neue Jahr besser beginnen als mit einem klassischen Konzert: Es ist das Neujahrskonzert in der Heidelberger Stadthalle mit den Heidelberger Philharmonikern und zwei Heidelberger Top-Solistinnen als Hauptprotagonisten. Wie durch ein kleines Wunder bin ich dieses Mal richtig gut in der Zeit und fahre ganz entspannt mit dem Taxi zur Stadthalle. Am Seiteneingang für Rollstuhlfahrer klingeln wir und warten keine zwei Minuten, bis ein äußerst höflicher Mann im Anzug erscheint und uns freundlich begrüßt. Soviel Glück hat der Rollstuhlfahrer bzw. die Rollstuhlfahrerin leider nicht immer. Ohne größere Probleme fahre ich auf den großen Treppenlift, den ich aber nicht besonders gern mag. Er hat zwei große stählerne Schwenkarme, die elektrisch nach unten klappen, sobald ich auf der Plattform stehe. Meine große Sorge ist dann immer, dass entweder der Menübildschirm meines Rollstuhles zertrümmert wird oder mein Beatmungsgerät etwas abbekommt. Diesmal geht alles gut, ich muss zwischendurch lediglich den Atem anhalten, als der Lift kurz hintereinander zweimal stoppt.

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Oben angekommen schnaufe ich erst einmal erleichtert durch. Aber jetzt wird es erst recht stressig: Ich lasse mich richtig in den Rollstuhl ziehen und meine rechte Hand verrutscht natürlich völlig. Bis wieder alles stimmt und mein Rollstuhl endlich anspringt, vergeht sehr viel Zeit, zu viel Zeit!! Es ist wie so oft reine Nerven-Sache! Durch meine äußerst sensible Rollstuhl-Steuerung entstehen häufig diverse Probleme. Zum Beispiel dass ich durch eine leichte Berührung ungewollt auf den Steuerknüppel drücke und der Rollstuhl eine Fehlermeldung produziert. Soweit so gut, nachdem ich also endlich wieder in der Senkrechten und somit startklar bin, fahre ich so schnell wie möglich an meinen Sitzplatz. Wobei nur meine Assistentin einen festen Platz hat. Es ist als Rollstuhlfahrer ein großes Privileg, dass man quasi freie Platzwahl hat und sich einfach überall hinstellen kann. Fluchtwege sollte man allerdings tunlichst meiden.

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In der Pause gibt es einen Neujahrs-Umtrunk mit Champagner für die Konzertgäste. Mir ist es allerdings viel zu stressig, ins Foyer zu fahren, wo sich die Menschen dicht an dicht drängen und ein hoher Lärmpegel herrscht. Unter solchen Voraussetzungen ist es mir nahezu unmöglich, mich angemessen mit meiner Assistenz, geschweige denn mit anderen Mitmenschen zu unterhalten. Meine kleine Hoffnung, dass meine Assistentin ein Gläschen direkt an meinen Platz bringen kann, macht einer der Saal-Ordner zunichte. Klar, da könnte ja jeder kommen und die vorgeschriebene Ordnung zerstören. Das geht natürlich nicht, ist außerhalb des Protokolls!! Selbstverständlich hätte ich auch bis zum Ausgangs des Saales fahren können, mir geht es ja nicht um irgendwelche Sonderstellungen. Aber es ist einfach so schön exemplarisch für deutsche Bürokratie und Unflexibilität. Wäre der Ordner etwas offener und sensibler gewesen, hätte er vielleicht sogar eine Ausnahme gemacht. Ich muss über die Sache schmunzeln, zumal der Champus laut meiner Assistentin nicht gerade der Hammer war.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Es wird stressig, wenn einem der E-Rollstuhl nicht gehorcht.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Menschen müssen auch mal von ihrem festen Protokoll abweichen können – das ist cool!

Beste Aussichten in der Disco

Mein Musikgeschmack ist breit gefächert und reicht von klassicher Musik bis Heavy Metal. Heute Abend kommt die AC/DC-Coverband Dirty Deeds in den Schwimmbadclub Heidelberg. Einer meiner Assistenten hat mir den heißen Tipp gegeben. Er ist so etwas wie mein persönlicher Musikevent-Manager. Regelmäßig versorgt er mich mit sehr guten Konzerthinweisen. An diesem Abend ist recht viel los, was ich auf der Konzertebene merke. Kurz überlege ich mir, mich direkt vor der Bühne zu platzieren, lasse es aber lieber sein. Ich ziehe es vor, wegen der Lautstärke zwischen mir und der Bühne genügend Abstand zu lassen. Eine mit mir befreundete Assistentin, die mich und meinen Musikbeauftragten begleitet, schiebt mich an meinen Stammplatz.

Als es losgeht, sehe ich den Sänger perfekt und auch nachdem der Betrieb vor mir etwas zunimmt, kann ich noch ab und zu einen Blick auf die Band erhaschen. Irgendwann tanzt ein Mann direkt vor mir. Meine Assistentin gibt ihm einen Hinweis, damit er einen Meter neben mir weitermacht. Später ist noch mehr los und ich bekomme die Konsequenz meines etwas ungünstigen Platzes zu spüren. Es ist mir egal, Hauptsache ich höre die Musik. Die Jungs geben mächtig Gas!

Disco 2

Außerdem kann ich von den Discogästen auch nicht verlangen, dass sie einen Bogen mit Sicherheitsabstand um mich herum machen. Ohnehin finde ich, dass es halb so schlimm ist, nicht die komplette Bühne zu sehen, wenn attraktive Mädels vor einem abdancen. In meinem kleinen Schieberollstuhl habe ich genau die richtige Blickhöhe, um gute Aussichten zu genießen. Eine Gruppe von Männern geht ziemlich ab und springt wie wild vor und neben mir auf und ab. Einer in der Gruppe weist seine Kollegen an, ein bisschen mehr Rücksicht auf mich zu nehmen. Er reckt den ausgestreckten Daumen nach oben und nickt mir mit breitem Grinsen zu. Aha, da hat einer verstanden, denke ich und sehe wieder etwas mehr von der Band und den inzwischen völlig verschwitzten Sänger.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Mit dem Rollstuhl sieht man besser!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Entscheidend ist das Bemühen, auf seine Mitmenschen im Rollstuhl oder mit anderen Behinderungen Rücksicht zu nehmen.

Teil 2 : Autos, Autos und eine Portion Inklusion

Vor ein paar Jahren kam es bei größeren Menschenansammlungen auf der IAA nicht selten vor, dass einem als E-Rollstuhlfahrer rempelnde Menschen begegnet sind, die einen übersehen oder solche, die sich unbeabsichtigt mitten ins Sichtfeld des Ausstellungsobjekts gestellt haben, das man gerade sehen will. Im Laufe der Jahre haben ich und mein Vater bemerkt, dass sich das Verhalten und die Hilfsbereitschaft gegenüber Rollstuhlfahrern bzw. Menschen mit Behinderung auf der Messe positiv verändert haben. Die Besucher sind viel sensibler geworden. Wenn etwa jemand bemerkt, dass er/sie mir die Sicht auf ein Ausstellungstück versperrt, geht er/sie sofort zur Seite. Natürlich übertreiben es die Leute gelegentlich auch, indem sie versuchen, sich fluchtartig in Luft aufzulösen, sobald sie einen E-Rollstuhlfahrer sehen. Sie könnten ja problemlos überfahren werden…

Wir verlassen gerade Halle 3, als mir mein Papa grinsend erzählt, dass ihn beim Rausgehen ein US-Amerikaner mit den Worten angesprochen hat: „Please take care for the wheelchair driver next to you, he wants to drive through the door .“ Wir müssen natürlich herzhaft lachen, aber der gute Mann konnte ja nicht ahnen, dass ich zu meinem Papa gehöre. Dasselbe Schauspiel wiederholt sich noch zweimal auf Deutsch, als Messebesucher meinen Papa und Assistenten ansprechen und diese auffordern, doch bitte für mich auf die Seite zu gehen. Die höhere Sensibilität und das Verständnis für „handicaped people“ gilt übrigens nicht nur für Messebesucher, sondern auch für Messemitarbeiter. Da die Sonne scheint und wir Hunger bekommen, halten wir an der ersten Currywurst-Bude sofort an. Dummerweise haben wir kein Messer dabei, um mir die Wurst kleinzuschneiden. So habe ich keine Chance, mein Menü zu essen, da ich den Mund nicht weit genug öffnen kann. Mein Vater frägt am Verkaufsstand nach einem Messer und kommt mit dem größten Schlachter-Messer ever wieder zurück. Ich könnte mich totlachen, finde die Aktion aber klasse! Die nette Verkäuferin handelt total unkonventionell und gibt uns ihr einziges Messer. Da gehörte schon eine große Portion Vertrauen dazu – es wäre viel einfacher für sie gewesen, wenn sie sich hinter ihren Vorschriften versteckt hätte.

Automesse 1

An dieser Stelle muss ich einfach die witzige Anekdote mit Daimler-Boss Dieter Zetzsche vor zwei Jahren erzählen. Es passt perfekt zum erhöhten Stellenwert von Menschen mit Behinderung bei den Messemitarbeitern. Wir fuhren durch die Mercedes-Halle und an einer Stelle gab es einen separaten Durchgang für Rollstuhlfahrer, den ich auch passiert habe. Wenige Augenblicke später tauchte plötzlich Zetzsche auf und war gerade dabei, den Rollstuhldurchgang zu durchqueren. Er hatte aber nicht mit einer engagierten Mitarbeiterin gerechnet, die auf ihn zustürzte und ihn wild gestikulierend davon abhielt, weiterzulaufen. Sie erklärte ihm, dass dieser Durchgang speziell für Rollstuhlfahrer sei. Wenige Meter daneben konnten ich und mein Vater uns das Grinsen nicht verkneifen. Dann kam ein anderer Mitarbeiter ziemlich hektisch herbeigeeilt und flüsterte seiner Kollegin etwas ins Ohr. Diese lief auf der Stelle puderrot an und öffnete dem Vorstandschef unverzüglich den Durchgang. Sie hatte einfach keine Ahnung, dass sie den obersten Boss vor sich hatte. Natürlich mussten wir sofort loslachen! Aber im Endeffekt gelten für einen Vorstandschef die gleichen Regeln wie für jeden anderen Menschen auch.

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Abgesenkte Bordsteine inklusive: nicht nur die Messebesucher geben ihr Bestes, auch die Barrieren halten sich in Grenzen.

Aber zurück in die Gegenwart: Nach unserem Imbiss bin ich ziemlich fertig und bekomme zu allem Überfluss noch starke Kopfschmerzen. Ich gebe das Signal, dass ich mich nun hinlegen und ausruhen muss. Das heißt erst einmal suchen, weil die Sanitätsstation, in der ich mich ausruhen kann, scheinbar umgezogen ist. Zum Glück geht jemand ans Telefon, als wir die entsprechende Nummer wählen. Die Station befindet sich nun am anderen Ende der Messehalle 4, ist neu renoviert und sieht ziemlich modern aus. Allerdings gibt es nur zwei etwas härtere Liegen, von denen der Sanitäter – wie er uns erzählt – regelmäßig Kreuzschmerzen nach seinem Nachtdienst bekommt. Er ist ziemlich nett und würde uns wohl gleich fünf Decken zur Unterpolsterung bringen, wenn wir nur wollen. Ich kann mich zum Glück ganz gut erholen. Das gilt genauso für meinen Rollstuhl, der sich die nötige Energie von der Steckdose wieder holt. In der Vergangenheit habe ich es tatsächlich zwei- oder dreimal geschafft, meinen Akku komplett leerzufahren. Da blieb uns nichts anderes übrig, als die sogenannte „ViaMobile“ zu benutzen, im Prinzip nichts anderes wie eine Rolltreppe ohne Treppe 🙂 Damit sind die verschiedenen Messehallen verbunden. Allerdings ist der Zugang zur „ViaMobile“ nicht ganz unkompliziert, da man oft die Etage wechseln muss und auch die Aufzüge nicht immer auf Anhieb findet.

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Spasic geht die Welt zugrunde: Bei Opel ist alles auf Hochglanz poliert.

Und bei schönem Wetter ist es auch ganz angenehm, die Wege auf dem Außengelände zurückzulegen. Heute nervt mich aber mein Rollstuhl total, da er auf dem etwas unebenen Messegelände ziemlich stark schwankt. Ich würde mir am liebsten auf der Stelle einen Neuen bestellen. Die Folgen der Wackelei quälen mich schon ein paar Jahre. Die Problematik äußert sich so, dass Ruckler bzw. seitliche Bewegungen meine Sitzposition sehr leicht negativ verändern und meine rechte Hand verrutscht, die den Steuerknüppel bedient. Eher ungünstig, wenn es wie bei mir auf jeden Millimeter ankommt. Den Spaß lasse ich mir trotzdem nicht nehmen und schaue mir mit meinen Begleitern noch drei weitere Hallen an. Danach geht’s zurück zum Parkplatz und tatsächlich ohne Stau wieder nach Heidelberg – unglaublich aber wahr!!

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Die Automesse ist hinsichtlich praxisorientierter Inklusion eine Veranstaltung mit Vorbildcharakter.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Vorsicht, das ist kein unverschämter Messebesucher, sondern nur der Begleiter eines Rollstuhlfahrers.

Einmal IAA – immer IAA!

Es ist mein sage und schreibe 11. Besuch bei der Internationalen Automobil Ausstellung (IAA), die alle zwei Jahre in Frankfurt stattfindet. Als zehnjähriger Junge habe ich diese Tradition mit meinem Vater begonnen, seither gehört der Besuch auf der IAA zum Freizeit-Pflichtprogramm. Die Begeisterung für Autos entwickelte ich schon als kleiner Knirps, was ja eigentlich kein Wunder ist, wenn der Papa bei Mercedes arbeitet und man in der Nähe von Stuttgart wohnt. Sogar die Schule musste für dieses Event ausfallen, was mir früher besonders gut gefallen hat. Es käme also einem Verrat gleich, wenn ich die IAA nicht besuchen würde. Zumal ich als Rollstuhlfahrer den Luxus eines kostenlosen Eintritts habe, Gleiches gilt für meinen Begleiter. Wir fahren seit jeher an den Fachbesuchertagen zur IAA, da der Besucherandrang dann wegen der höheren Preise noch erträglich ist. Das erste Mal in 11 Jahren schaffen wir es, schon um sagenhafte 8:10 Uhr auf dem Messegelände zu sein. Wir können unser Glück kaum fassen, denn einerseits ist der Stau bei einer morgendlichen Fahrt nach Frankfurt quasi vorprogrammiert und der Weg zum Messetor Nord nicht unbedingt problemlos zu finden. Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit Behinderung haben den Vorteil, direkt aufs Gelände fahren zu dürfen. Das Ganze läuft ziemlich unbürokratisch ab, ich muss lediglich dem freundlichen und gut erreichbaren „Barrierefrei-Team“ die Kopie meines Behindertenausweises zuschicken. Ich habe zwar die Einfahrerlaubnis fürs Messegelände, aber die richtige Einfahrt zu finden steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt. Es ist keine ganz einfache Aufgabe, denn die Autofahrer werden alle zum offiziellen Messeparkplatz geleitet, der ein gutes Stück weit von der Messe weg ist. Da hilft einem das Navigationsgerät irgendwann nicht mehr weiter, aber auch dieses Mal schaffen wir es, aufs Gelände zu kommen. Wie mein Vater treffend feststellt, „kommen wir gefühlt jedes Mal an einer anderen Stelle aufs Gelände…“ Zum Glück können wir darüber amüsiert schmunzeln, denn nach kurzer Suche finden wir gleich unseren Stammparkplatz.

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Eine Extra-Portion Motivation: Die Mitarbeiter der Mercedes-Halle werden für den langen Messetag eingeschworen!

Für diesen Messebesuch habe ich meinen Assistenten Flo, dessen eigentlicher Beruf professioneller Fotograf ist, eingeteilt. Dies hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen macht es zu dritt mehr Spaß, zweitens gestaltet sich der Messetag für mich und meinen Papa durch die zusätzliche Unterstützung entspannter und drittens hält Flo die „Begegnung zwischen Automobil und E-Rollstuhl“ auf geniale Art und Weise fotografisch fest. Im Übrigen ist es kein Thema, eine zweite Begleitperson mit auf die Messe zu nehmen. Was im Zuge der allgemeinen Rücksichtnahme und des inklusiven Geists, der mittlerweile weht, auch nicht weiter verwundert.

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Freie Fahrt: Vor dem offiziellen Publikumseinlass macht die IAA am meisten Spaß!!

Von unserem Parkplatz aus geht es immer zuerst ein paar 100 m Richtung Messeturm direkt in die Mercedes-Halle. Dieses Mal schaffen wir es tatsächlich, eine halbe Stunde vor offiziellem Publikumseinlass dort zu sein. Wir steuern sofort auf einen Mitarbeiter des Messestandes zu und wollen wissen, ob wir jetzt schon mit dem Aufzug in die oberste Etage fahren können. Von dort geht es etagenweise wieder nach unten. Der Mann gibt uns die Info, dass der Aufzug zuerst in 15-20 Minuten betriebsbereit sei. Nur wenige Augenblicke später kommt ein anderer Mitarbeiter auf uns zu und frägt, ob er uns den Weg zum Aufzug zeigen soll. Wir schauen uns fast etwas perplex an und müssen grinsen: Es geht doch so Einiges, wenn manche Leute ihren eigenen Ermessensspielraum etwas ausnutzen und mit Augenmaß einsetzen. Auf jeden Fall bin ich dem Mann dankbar, denn es ist wie im Paradies, die Autos ganz für sich alleine zu haben. Abgesehen von der relativ großen Menschenmenge ist die Automesse für E-Rollstuhlfahrer ohnehin ein Eldorado, da sie auf topfebener Strecke draußen und in den Hallen Gas geben können.

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The Show must go on: Immer was geboten, die Premium-Hersteller lassen sich nicht lumpen!

Gegen 9:30 Uhr geht der typische Ansturm unausweichlich wieder los… Speziell bei Audi wird es übervoll und ich kann mich kaum mehr drehen. Es ist für Rollstuhlfahrer ein Problem, dass die Autos auf diesem Stand viel zu nah nebeneinander ausgestellt sind. Deshalb bin ich auch einigermaßen froh, als ich draußen bin. Zum Glück wird es bei unserer nächsten Station VW nicht ganz so schlimm.

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Science-Fiction auf der IAA: Da staunt man nicht schlecht!

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Je früher desto besser – speziell als Rollstuhlfahrer sollte man so früh wie möglich den Automesse-Tag beginnen (und bloß nicht auf die Idee kommen, an einem normalen Publikumstag zu erscheinen)!!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Es ist ein Genuss, wenn Messemitarbeiter unkompliziert, umsichtig und unbürokratisch handeln!

Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!!!

Es ist doch völlig klar, dass ich es dem diesjährigen Pokal-Finalisten VFB Stuttgart einfach gleichtun und unserer Hauptstadt dieses Jahr eine Stippvisite abstatten musste. Für diese Reise habe ich mich entschlossen, zwei Begleitpersonen mitzunehmen, das ist viel entspannter und es bleibt nicht alles an einer Person hängen. Frühzeitig habe ich mit zwei altbewährten Helferinnen den gemeinsamen Trip klargemacht. Außerdem ist meine Schwester mit ihrem Freund zwei Tage mit dabei, sie wohnen im gleichen Jugendgästehaus. Also noch mehr Entlastung für meine zwei Mädels. Als wir ohne große Komplikationen ankommen, hat meine Schwester aber gleich mal eine schlechte Nachricht parat: Genau bei der U-Bahn-Station, über die wir am schnellsten ins Stadtzentrum gekommen wären, funktioniert der Aufzug nicht. Das bedeutet, dass wir immer etwas länger brauchen, bis wir an unsere gewünschten Zielorte kommen. Rekord sind durch mehrmaliges Umsteigen zweieinhalb Stunden. Zum Glück kann ich mich nach dieser Odyssee mit einer echten Berliner Currywurst trösten.

31082013714Es sind echt gute Nerven nötig, wenn wir mit dem öffentlichen Nahverkehr die Stadt erkunden. Dabei ist Berlin in diesem Punkt echt fortschrittlich, da selbst die älteren Bahnen ohne Probleme nutzbar sind. Jede U- und S-Bahn-Station ist mit einer stationären Klapprampe ausgestattet, die der Zugführer bei Bedarf völlig unkompliziert anlegen kann. Berlin ist eine von den wenigen Städten, wo ich ganz entspannt und ohne Schweißausbrüche von A nach B komme. Leider bringt dies eben nicht so viel, wenn die Aufzüge kaputt sind. Allerdings scheint die Auszeichnung Berlins zur barrierefreisten Stadt Europas schon ein bisschen sehr optimistisch, wenn Aufzüge selbst an Knotenpunkten wie dem Zoo oder dem Kudamm kaputt sind. Einer deutschen Hauptstadt unwürdig. Natürlich muss man zur Ehrenrettung anmerken, dass es kaum möglich ist, dass ein derart riesiges U- und S-Bahn-Netz ohne irgendeine Unterbrechung funktioniert.

IMG_0511 Das Dreibett-Zimmer unserer Unterkunft ist soweit in Ordnung, mit den üblichen Defiziten, wenn der Preis niedrig ist und der Träger kein Selbsthilfe- oder Behindertenverein ist: Recht klein, sehr niedriges Bett, was für meine Helferinnen natürlich suboptimal ist und ein Bad mit Ecken und Kanten. Zunächst muss der WC-Stuhl über eine am Boden installierte Kabelleiste geschoben und dann von beiden Seiten kurz angehoben werden, damit ich über die Kloschüssel komme. Gut, dass wir zu dritt sind, es ist sowieso genial, wie sich meine beiden Helferinnen ergänzen und mich in Turbogeschwindigkeit stadterkundungstauglich machen. Es geht tatsächlich schneller, wenn vier statt zwei Arme an einem herumschrauben. Da wir Einiges an Gepäck und sonstigen Dingen dabei haben, ist es in unserer Bude sehr voll. Dass noch jemand durch die Türe passt, ist alles. Falls der Notstand in Berlin ausgerufen wird, sind wir jedenfalls gut gerüstet, da meine Oberplanerin aus Franken einfach Alles, was man zum Überleben braucht, eingepackt hat 🙂
IMG_0468Am zweiten Tag fahren wir mit dem Bus zur Siegessäule, selten habe ich so einen zuvorkommenden und netten Busfahrer erlebt, die meisten anderen Fahrer und Zugführer sind hier ebenfalls recht nett. Dann geht’s weiter zu einer der Schiffsanlegestellen an der Spree. Es gibt einige rollsuhlgerechte Rundfahrtschiffe. Wir haben nicht mehr viel Zeit, bis unser Schiff ablegt. Dummerweise finde ich keinen geeigneten geteerten Abgang zur Anlegestelle, es sei denn, ich lege einen halben Kilometer Umweg zurück. Ich beschließe einfach, dass mein Rollstuhl geländegängig genug ist und fahre das relativ steile Stück Wiese hinunter. Der kurze Ausritt lohnt sich und mir wird auf dem Schiff richtig bewusst, wie groß das Bundeskanzleramt ist. Die immense Investition, die dahinter steckt, wirft nicht nur bei mir Fragen auf.

IMG_0490Da passt es doch perfekt, dass wir am gleichen Abend noch ins politische Kabarett gehen. Über einen Seiteneingang lässt uns ein Techniker des Theaters ins Innere des Gebäudes und mit dem Personalaufzug geht’s nach oben. Der Aufführungsraum ist im Stile eines alten Kinosaals gehalten, der recht eng ist, aber eine gute Atmosphäre bietet. Nachdem sich alle Besucher an mir vorbeigequetscht und mich einige von Ihnen mit einem strengen Blick bedacht haben, ist der Spaß für alle Beteiligten groß. Ich verdränge sogar eine weitere VfB-Niederlage sehr effektiv 🙂 Am nächsten Tag steht der alte Tempelhofer Flughafen auf dem Programm, ich bin vor allem an einer Führung durch das alte Gebäude interessiert. Es dauert schon relativ lange, bis wir am Tempelhofer Feld ankommen und bis wir rausfinden, wo der richtige Eingang ist und wir uns für eine Führung anmelden können, vergeht noch einmal sehr viel Zeit. Und dann kommt die Ernüchterung: Führungen, die auch für Rollstuhlfahrer angeboten werden, soll es erst nächstes Jahr geben. Immerhin erklärt sich einer der Führer bereit, uns zumindest einen kurzen Einblick in das Gebäude und seine Geschichte zu geben. Schon ein imposantes Bauwerk, das Adolf der „Größenwahnsinnige“ da hingestellt hat. Zumindest eignet es sich großartig dafür, mit dem E-Rollstuhl hindurchzurasen. Unser Kurzzeit-Führer ist ebenfalls schwer beeindruckt von meinem schnellen Gefährt.

IMG_0526Zu erwähnen sind natürlich noch meine drei Treffen mit Bekanntschaften aus Berlin. Ich treffe mich unter anderem mit einem Rollstuhlfahrer, den ich auf einem Berufseinstiegsseminar kennengelernt habe und mit einem E-Rollstuhlfahrer, den ich bisher nur aus Erzählungen kenne. Er ist auch auf Assistenz angewiesen und hat den Schritt gewagt, vom vergleichsweise beschaulichen Mainz nach Berlin zu ziehen. Das nötigt meinen größten Respekt ab! Dort arbeitet er für die Grünen-Fraktion und kümmert sich um die Bearbeitung behindertenpolitischer Themen. Wenige Tage später leitet er mir eine sehr interessante Stellenanzeige weiter, zum Glück ist es keine Stelle in Berlin sondern in Heidelberg. Zum Abschluss meines Berlintrips treffe ich mich mit einem alten Schulkamerad in Kreuzberg, da ich mir dieses Viertel unbedingt mal reinziehen möchte. Es ist ziemlich viel los, das Stadtleben pulsiert hier. Ich fahre an Kneipen, Bars und kleinen Restaurants vorbei, aber entweder sind sie zu eng, zu voll oder nicht barrierefrei. Zu meiner Erleichterung komme ich in eine der zahlreichen Imbissbuden hinein und kann einen leckeren Gemüse-Kebab essen.

IMG_0547Am nächsten Tag geht’s ohne Komplikationen wieder heimwärts. Die sonst übliche kleine Urlaubs-Katastrophe bleibt aus. Im Gegenteil: Es fällt mir sogar ein bisschen schwer, die coole Stadt zu verlassen und keine Doppelversorgung durch meine Mädels mehr zu bekommen.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Berlin im E-Rollstuhl zu besichtigen, ist ein Genuss – wenn man ein Helferinnen-Dream-Team am Start hat.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Ohne funktionsfähige Aufzüge bringen alle barrierefreien Bahnen der Welt nichts!

Live-Sport macht einfach Spaß

Der Sommer ist doch noch gekommen und zwar richtig. Natürlich jammert jetzt alle Welt wieder herum, wie ich das liebe… aber es ist so heiß, dass sogar ich ins Schwitzen komme! An zwei, drei Tagen bekomme ich fast nichts gebacken, mein Gehirn will einfach nicht wie ich will. Heute ist meine Laune deshalb mal wieder auf dem Tiefpunkt. Immerhin gibt es heute Abend etwas Kontrastprogramm zum trägen Alltag, Basketballländerspiel zwischen Deutschland und Frankreich. Ist aber nur ein Testspiel und selbstverständlich ohne Nowitzki. Ich wollte zwar immer mal live zu einem Basketballspiel, so richtig heiß bin ich aber nicht darauf. Mit relativ geringen Erwartungen fahre ich los, die Anfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln läuft problemlos, wir sind frühzeitig dort.

IMG_3077Die SAP-Arena in Mannheim ist prädestiniert für Rollstuhlfahrer, man hat einen super Platz mit toller Übersicht, so auch dieses Mal. Die Stimmung ist erstaunlich gut, was auch am sehr engagierten Hallensprecher liegt. Bei der eingespielten Hymne, als die Spieler in die Halle kommen und vorgestellt werden, bekomme ich Gänsehaut, denn die gleiche Musik ertönt auch, wenn bei einem Heimspiel meines VFB die Mannschaft auf den Platz kommt (http://www.youtube.com/watch?v=waVl_q6HLBA&feature=youtu.be, v.a. ab 3:00). Das Spiel geht hin und her und ist  sehr abwechslungsreich. Bei jedem Korb für die Deutschen wird es mega laut in der Halle. Mein Helfer versteht kein Wort mehr. Irgendwann liegt Deutschland über 20 Punkte hinten, schafft es aber tatsächlich noch, das Spiel fast zu drehen. Die Halle steht Kopf!

IMG_3084Meine Erwartungen werden übertroffen und ich verstehe jetzt auch, wieso sich mein Helfer so frühzeitig für den Dienst an diesem Tag angemeldet hat. Als wir uns nach dem Spiel zur Abfahrt bereit machen, kommt der Ordner auf uns zu, der uns vor dem Spiel zu den richtigen Plätzen schickte. Er möchte genau wissen, wie es uns gefallen hat und freut sich, dass alles gut geklappt hat. Er erklärt uns, dass es ihm sehr wichtig sei, den Sportfans guten Service zu bieten. So eine Einstellung ist top und sehr gerne verspreche ich ihm, dass ich bald mal wieder komme! Gut gelaunt und entspannt fahren wir zurück.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Barrierefreie Sportveranstaltungen sorgen bei mir für die richtige Abwechslung!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Die SAP-Arena Mannheim bietet sehr gute Rahmenbedingungen für Rollstuhlfahrer.

Großes Spektakel in Fraktfurt

Erstmals besuche ich ein Sportevent live, bei dem Sportler mit Behinderung die Protagonisten sind: Die Europameisterschaft im Rollstuhlbasketball in Frankfurt. Ich habe eine Tageskarte und frage vor der Veranstaltung nach, ob ich mich zwischendurch irgendwo hinlegen kann, denn sonst komme ich nur in den Genuss eines einzigen Spieles. Obwohl mir die Antwort keine vollständige Verlässlichkeit garantiert, gehe ich das Wagnis ein. Bis zum Frankfuhrter Hauptbahnhof läuft noch alles glatt, dann beginnt die Suche nach der richtigen Straßenbahnlinie. Für stadtfremde Menschen ist die Lage hier alles andere als leicht zu überblicken und spätestens jetzt beginnt Frankfurt zur Lieblingsstadt meiner Helferin aufzusteigen. Nachdem wir die Haltestelle gefunden haben, ist das Problem noch nicht gelöst. Die Straßenbahnschienen laufen mitten auf der Straße und es ist nicht eindeutig, wo sich der Einstieg genau befindet. Während wir verzweifelt nach dem Fahrplan schauen, kommt auch schon die Bahn: Natürlich eine alte Version, das gleiche Spiel wie in Heidelberg.

IMG_0342Als endlich die richtige Bahn einfährt, sehe ich mich einer sehr steilen Einstiegsrampe gegenüber. Ich verstelle den Rollstuhl so, dass ich besser hinaufkomme, wobei mein Gefährt zu viel Schwung bekommt und an einer Stange hängenbleibt. Als es nicht sofort weitergeht, wird der Fahrer ungeduldig und wiederholt gefühlte zehnmal, dass ich noch ein paar Zentimeter nach vorne fahren soll. Um mir dies zu veranschaulichen, hat er nichts Besseres zu tun, als dreimal die Klapprampe auf meinen Rollstuhl zu schmeißen. Jetzt ist bei mir endgültig die Grenze überschritten und ich lasse einen Brüller fahren. Das kann ja wohl nicht angehen, die Fahrgäste derart zu drangsalieren. Dieser Meinung ist auch meine Helferin, die mega wütend ist; irgendwie verständlich, aber ich bleibe relativ ruhig, da ich solche Situationen schon sehr oft erlebt habe! Mein Rezept für solche Fälle: Einmal kräftig Dampf ablassen und dann sofort abhaken.

IMG_0340Als wir endlich in der Eissporthalle ankommen, wird mir augenblicklich bewusst, dass ich die ganze Situation unterschätzt habe. So viele Rollstuhlfahrer auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen, die Halle ist brechend voll und ich kann leider immer nur eine Hälfte des Spielfelds sehen. Aber die Stimmung ist prächtig, der Lärm ohrenbetäubend. Meine Helferin ist trotzdem nicht einverstanden, dass ich nur einen Platz zweiter Klasse habe und sie lässt nicht locker, bis wir einen netten und unglaublich engagierten Ordner finden. Es dauert einige Zeit, aber irgendwann schleust er uns zu einem Aufzug und wir fahren ein Stockwerk tiefer. Er will mich tatsächlich auf Ebene des Spielfelds bringen. Da das Fernsehen am Start ist, muss ein Orga-Mann erst einmal auf die Freigabe warten. Ich bin skeptisch und bereue insgeheim, dass ich nicht einfach auf dem schlechten Platz geblieben bin. Aber plötzlich gibt uns ein freundlicher Mann vom Fersehen das Signal, ihm zu folgen. Wenig später finde ich mich hinter der niederländischen Bank wieder und sehe eine atemberaubend spannende zweite Hälfte. Dank dem engagierten Organisationsteam und meiner hartnäckigen Helferin bin ich hautnah dabei.

IMG_0344IMG_0350Danach muss ich mich endlich einmal hinlegen und deshalb werden wir nochmal beim Orga-Team vorstellig. Ein netter Mann bringt uns zum medizinischen Dienst. Der Sanitäter dort ist sehr hilfsbereit und stellt uns eine tragbare und nicht unbequeme Liege zur Verfügung. Diese stellen wir irgendwo in den Katakomben auf, wo ich relativ ungestört kurz durchschnaufen kann. Nur der Sanitäter kommt ab und zu mal vorbei und frägt, ob alles in Ordnung ist. Als meine Helferin gerade überlegt, wo sie sich etwas zu essen kaufen kann, möchte er wissen, ob er uns noch was Gutes tun kann? Kurze Zeit später steht er mit einem Lunchpaket da. Als ich wieder senkrecht im Rollstuhl sitze, ziehe ich mir noch die deutschen Männer – ebenfalls gegen die Niederlande – rein. Es geht zwar lange nicht so spannend wie bei den Frauen zu, aber immerhin machen sie die Qualifikation für die WM im nächsten Jahr klar.

IMG_0352Auf dem Rückweg zum Hauptbahnhof macht meine Helferin dann nochmal mit einer Frau aus ihrer neuen Lieblingsstadt Bekanntschaft. Auf die Frage, ob die Straßenbahnhaltestelle am Hauptbahnhof rollstuhlgerecht sei, antwortet sie: „Jaja, kein Problem, im Hauptbahnhof gibt es Aufzüge!“ Alles klar, wir haben verstanden 🙂

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Es lohnt sich, hartnäckig nach dem besten Platz zu suchen.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Reden ist Silber, unkonventionelles Handeln ist Gold!