Mein persönlicher Weihnachtsbrief

Weihnachten 2022, Entspannung und Erleichterung macht sich breit. Das Krisenjahr 2022 hat uns allen sehr viel abverlangt. Nach 2 Jahren Corona dachten wir, es könnte nicht schlimmer kommen. Umso größer ist die Hoffnung auf 2023, auch wenn man als Mensch mit Schwerstbehinderung am meisten abhängig von anderen und allgemeinen Entwicklungen ist. Gut zu wissen: Der Staat hilft viel und uns geht es verhältnismäßig immer noch sehr gut.
Davon profitieren auch viele Menschen mit Behinderung, die in Krisenzeiten allerdings von möglichen Einsparungen oft als erste betroffen sind. Es stellt sich die Frage: Wie viel Wert sind der Politik und letztendlich der Gesellschaft die Beibehaltung und Weiterentwicklung von Selbstbestimmung, Inklusion und menschenwürdiger Pflege? Auf diese ist ein großer Teil unserer Bevölkerung irgendwann selbst angewiesen und ich wundere mich jedes Jahr aufs Neue, wann dieser Berufsstand bzw. der gesamte sozial Sektor endlich mal die notwendige und nachhaltige Wertschätzung erhält. Das gilt genauso für die persönliche Assistenz, die Menschen wie mir trotz gravierender körperlicher Einschränkungen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.

Im Zuge des Bundesteilhabegesetzes sind Städte und Gemeinden richtigerweise dazu übergegangen, den Unterstützungsbedarf von Menschen mit Assistenzbedarf individueller festzulegen. Ich für meinen Teil habe davon bisher sehr profitiert, denn durch den persönlichen Besuch von Sachbearbeitern des Sozialamtes bekamen diese einen sehr anschaulichen Blick in Praxis meines Alltagslebens. Von anderen Menschen in meiner Lage erfuhr ich, dass das Sozialamt minutiös den Tagesablauf gegengerechnet. In Zeiten des Sparens wird dies ja wohl noch erlaubt sein. Aus meiner Sicht ist dies eher menschenverachtend und führt zu einem noch höheren Abhängigkeitsgefühl… Zu Weihnachten wünsche ich mir dieses Jahr etwas anderes und vor allem mehr Solidarität aus der Bevölkerung.
ABER: Ich wünsche euch schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr! 👍 🌲 ✨

Liebe Politik – das erwarte ich 2022 von Euch !

Bei der Frage, was ich mir vom neuen Jahr erwarte, geht es mir grundsätzlich immer erst darum, was ich mir von mir selbst erwarte. Das habe ich eben beschrieben. Dann geht es darum, was ich vom neuen Jahr allgemein bzw. der Politik und was ich von meinem Umfeld, zum Beispiel meiner Assistenz, erwarte.

Und da ist Corona, auch wenn es nur noch nervt, so etwas wie ein Brennglas, das die Spreu vom Weizen trennt. Was wurde aus Corona gelernt? Wann steht die Pflege endlich wieder im Mittelpunkt, nachdem das Gesundheitswesen jahrzehntelang herunterwirtschaftet wurde? Da erwarte ich einiges von unserem neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Eigentlich völlig unverständlich, wieso augenscheinlich nichts getan wurde, um dem schon lange auf uns zurollenden Pflegenotstand nachhaltig zu begegnen. Genau in dieser Zeit fällt einem gewissen Jens Spahn nichts Besseres ein, als das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) (https://www.cody.care/gkv-ipreg/) einzuführen. Natürlich ging es vordergründig um hehre Ziele, wie Betrug bei der Beatmungspflege vorzubeugen und überbordende Kosten zu verhindern.

Durch die Hintertür konfrontierte er betroffene Menschen aus der außerklinischen Intensivpflege mit unnötigen Ängsten und in Zukunft mit noch mehr Bürokratie und kaum zu erfüllenden Vorgaben. Letzten Endes befürchten viele Betroffene Heimzwang oder den Zwang in eine bestimmte Wohnform. Dies ist meines Erachtens zum Glück nur in absoluten Ausnahmefällen zu befürchten. Das eigentlich Schlimme ist, dass die Politik mal wieder ein Gesetz an den eigentlichen Bedürfnissen der betroffenen Menschen vorbei auf den Weg gebracht hat. Es hätte so einfach sein können, mit etwas geschickterer Kommunikation, Wertschätzung und Einbeziehung von Betroffenen in das Gesetzgebungsverfahren.

Das Positive ist: Aus diesen unsäglichen Irrungen und Wirrungen des Spahnschen Gesetzesvorhabens, das mal wieder ohne nachhaltigen Austausch mit den Betroffenen und ihren Verbänden über die Bühne gegangen ist, können wir auch wieder sehr gut unseren Nutzen ziehen, vor allem haben wir viel Öffentlichkeit dadurch gewonnen. Vielen Dank an dieser Stelle für die Bemühungen des GKV-IPReG ThinkTank (https://www.cody.care/gkv-ipreg-thinktank/) und seiner Initiatoren, der das Gesetzesvorhaben kritisch begleitet und verbessernde Maßnahmen zum bisherigen Gesetz erarbeitet hat. Und das ist doch wirklich positiv: Bei kaum einem anderen Gesetz war es wohl möglich, so konkret Einfluss zu nehmen, und die neue Bundesregierung ist wie es scheint, offen für Hinweise und Verbesserungsvorschläge.

So ist es für viele Betroffene schön zu sehen, wie viel gemeinsam erreichbar ist, wenn man seine Stimme erhebt. Und wenn man es selbst nicht tun kann, dann springen andere für einen in die Bresche. Aber lange Rede, kurzer Sinn: Jetzt erwarte ich von der Politik endlich auch mal Taten.

Meine persönliche Erkenntnis des Tages: Wann macht Berlin endlich mal Politik für ihre Bürger?

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Kommunikation und wertschätzende Einbeziehung ist alles.

Assistenz im Krankenhaus – die unendliche Geschichte

Den 49. MAIK-Onlinetalk mit dem Titel „Assistenz im Krankenhaus – eine Mogelpackung? Viele Betroffene fühlen sich weiterhin allein gelassen“ am 27.10.2021 (Link zur gesamten Aufzeichnung) werde ich so schnell nicht vergessen. Nicht nur weil ich diesen Talk maßgeblich mitorganisiert habe, sondern weil er mich sehr motiviert und mir wieder mal gezeigt hat, was durch Vernetzung alles möglich ist. Die Lobby von Menschen mit Behinderung ist zwar nicht sehr groß, aber zusammen sind wir eine starke Gemeinschaft und können selbstbewusst für unsere Rechte eintreten und bekommen dafür viel Unterstützung und diverse Plattformen. Der Münchner außerklinische Intensiv Kongress (MAIK) ist eine solche. Wo normalerweise viele Menschen mit Beatmung, Ärzte und Therapeuten zusammenkommen, finden dieses Jahr aufgrund der Pandemie zum zweiten Mal verschiedene Onlinevorträge und  -diskussionen statt. Das hat den großen Vorteil, dass mehr Menschen teilnehmen können, auch weil der Zeit- und Reiseaufwand für viele von uns mit Beatmungsgerät enorm ist und dadurch entfällt.

Netzwerken und gegenseitige Unterstützung als Schlüssel

So hatte ich das Glück, Ottmar Miles-Paul, der die Selbstbestimmt Leben-Bewegung wie kein Zweiter geprägt und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) mitbegründet hat und heute unter anderem Sprecher der Liga Selbstvertretung ist, für diesen Talk zu gewinnen. Genauso wie seine Mitstreiterin Dinah Radtke, die ebenso große Verdienste um die Selbstbestimmt Leben-Bewegung hat sowie um die Rolle von Frauen mit Behinderung in der UN-Behindertenrechtskonvention.

Zu Beginn gab Uwe Frevert, Geschäftsführer der EUTB® von Selbstbestimmt Leben in Nordhessen (SliN e.V.) und langjähriges Vorstandsmitglied im Bundesverband der Zentren für selbstbestimmtes Leben (ZsL®) der ISL e.V. ist, einen Einblick in die rechtlichen Hintergründe der Gesetzgebung zur Assistenz im Krankenhaus. Uwe Frevert hat selbst seit 60 Jahren Erfahrung im Leben mit mechanischer Beatmung und 1988 einen großen internationalen Kongress in München zum Thema organisiert.

Bislang war die Situation so, dass lediglich AssistenznehmerInnen, die ihre Assistenz über das Arbeitgebermodell sicherstellen und selbst Arbeitgeber sind, ihre Assistenzleistung während eines Krankenhausaufenthaltes weiter erhalten. Für AssistenznehmerInnen, die wie ich über einen ambulanten Pflegedienst ihre Assistenz in Anspruch nehmen, gilt das nicht. Obwohl wir darauf genauso angewiesen sind. Diese Gesetzeslage wurde nun verbessert, wobei außerklinisch bzw. ambulant versorgte Menschen wie ich mit hohem spezifischen Assistenzbedarf wie zum Beispiel Beatmungspflege immer noch außen vor sind. Das ist sehr frustrierend, da gerade Vertreter dieser Menschen explizit dafür gekämpft hatten. Das vom derzeitigen Bundesbehindertenbeauftragten angekündigte Evaluationsverfahren, um zu sehen, was in der Gesetzesvorlage noch verbessert werden müsse, kann man sich getrost sparen, zumal das Gesetz erst in einem Jahr in Kraft tritt. Denn die Defizite und notwendigen Veränderungen liegen auf der Hand. Den Behindertenbeauftragten Jürgen Dusel und den Bundesrat möchte ich von meiner deutlichen Kritik ausnehmen, da sich beide genau über die Lücken der Vorlage im Klaren sind und überhaupt erst ermöglicht haben, dass überhaupt etwas gesetzlich geregelt wird.

Aufgeben gilt nicht!

Aber Aufgeben ist ein schlechter Berater, denn eine gescheite Regelung kann lebensnotwendig sein. Ich erinnere mich nur zu gut an den November 2019, als ich mich viel zu spät mit einer schweren Lungenentzündung in die Klinik einliefern habe lassen. Die Folge war, dass ich ums Überleben kämpfen musste. Wieso hatte ich es soweit kommen lassen? Einer die Hauptgründe war, dass nicht gesichert war, ob ich meine Assistenz würde mitnehmen können. Meine Assistenz, die mich so gut kennt, in den Handreichungen und im Handling total eingespielt mit mir ist und weiß, was ich in diesem oder jenem Moment gerade benötige und was richtig ist. Bei meiner Erkrankung Muskeldystrophie Duchenne kommt es in erster Linie nicht auf Fachwissen, sondern auf monate- und jahrelange Erfahrung und Automatisierung von Abläufen an. Die meisten AssistentInnen kennen mich besser wie manch FreundIn oder Familienmitglied. Da entsteht Vertrauen, das in körperlichen und psychischen Grenzsituationen absolut unverzichtbar ist. Wenn ich dann aus einer perfekt organisierten Umgebung in eine „fremde noch unorganisierte Umgebung“ komme, habe ich erst mal ein riesiges Problem, es sei denn meine wichtigsten Assistenz- und Vertrauenspersonen sind mit dabei. Ich konnte letztendlich dank einer Einzelfallentscheidung zwar für eine gewisse Zeit am Tag meine Assistenz in Anspruch nehmen, aber dafür waren zu viel unmenschlichen Hürden zu überspringen, unter anderem einige nervenaufreibende Gespräche mit dem Kostenträger seitens meiner Familie.

Das Statement von Ottmar Miles-Paul (Video Minute 1:17-1:31) sprach mir und den anderen ZuhörerInnen aus der Seele. Gleichzeitig war es Auftrag, sich gerade jetzt, da gerade Koalitionsverhandlungen stattfinden, mit aller Macht an die Politik zu wenden. Jetzt könne man sich, so Miles-Paul, rechtzeitig in Erinnerung rufen, denn wenn ein Koalitionsvertrag einmal stehe, sei der Spielraum nicht mehr groß. Die PolitikerInnen könnten sich dann immer auf das Papier berufen, egal wie prekär die Situation sei.

Und was war der Tipp des Koordinators einiger behindertenpolitischer Aktionen, wie wir am besten vorgehen sollten? Das wichtigsten sei Miles-Paul zufolge, dass die PolitikerInnen ein konkretes Bild von den realen Alltagsproblemen im Kopf haben. Die ganzen gesetzlichen kleinteiligen und nicht auf Anhieb verständlichen Paragrafen seien zunächst zweitrangig. Wir sollten unbedingt mit drastischen Worten beschreiben, was es heißt, ohne Assistenz ins Krankenhaus zu müssen oder ohne zu wissen, dass sie gewährt wird. Sehr prägnant fand ich auch das Bild des Rucksacks, den es zu packen gelte, mit allen Dingen, die wir bezüglich Assistenz im Krankenhaus benötigen. Er gab auch den Tipp, mit diesem Rucksack zur Krankenkasse zu gehen, um im Vorfeld schon klarzumachen, was es im Bedarfsfall brauche und was für eine Lösungsmöglichkeit im Ernstfall bestehe.

Gemeint ist hier, dass im Rahmen des Teilhabeplanverfahren des Bundesteilhabegesetzes, also den §§19 bis 23 im SGB IX seit 2018, unbedingt ein Auftrag an den zuständigen Kostenträger vermerkt werden sollte, dass im Fall des Krankenhausaufenthaltes ein außerordentlicher Bedarf an persönlicher Assistenz besteht.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Jammern hilft nicht und gemeinsam sind wir stark-gehen wir es an!!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Vielen Politikern würde es sehr gut zu Gesicht stehen, sich mit den Alltags Sorgen und -problemen zu beschäftigen und sie damit nicht allein zu lassen.

Für alle, die sich noch mehr informieren und tiefer in die Materie einsteigen möchten, habe ich in den folgenden Passagen die wichtigsten Infos zusammengetragen:

Die neue Gesetzesvorlage sieht vor, dass bei Mitaufnahme von Begleitpersonen aus dem privaten Umfeld die Gesetzliche Krankenversicherung die gegebenenfalls anfallenden Entgeltersatzleistungen (§ 44b SGB V) übernimmt. Bei Begleitung durch vertraute Mitarbeiter*innen der Eingliederungshilfe werden die Personalkosten von den für die Eingliederungshilfe zuständigen Trägern (früher „Heime“ genannt) übernommen (§ 113 Abs. 6 SGB IX). Voraussetzung ist in beiden Fällen, dass die zu begleitende Person grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe hat. Die pflegerische Leistung bleibt weiterhin Aufgabe des Krankenhauspersonals.

Uwe Frevert sprach im Vortrag noch weitere Defizite der Gesetzesvorlage an und inwiefern diese verbessert werden muss. Menschen, die wie ich körperlich stark eingeschränkt sind, bekommen nur Assistenz, wenn sie Eingliederungshilfe, aber entscheidender noch, wenn sie einen weiteren Hilfebedarf benötigen: Dieser Hilfebedarf umfasst Leistungen zur Verständigung und zur Unterstützung im Umgang mit Belastungssituationen als nichtmedizinische Nebenleistungen zur stationären Krankenhausbehandlung. Genaueres geht aus der Bundesdrucksache 19/31069 zu §113 (6) SGB IX hervor:

Insbesondere Menschen mit geistigen Behinderungen, die behinderungsbedingt nicht die für die Behandlung erforderliche Mitwirkung erbringen können bzw. ihre stark ausgeprägten Ängste und Zwänge oder ihr Verhalten behinderungsbedingt nicht kontrollieren können oder Menschen mit seelischen Behinderungen, die vor allem durch schwere Angst- oder Zwangsstörungen beeinträchtigt sind.

Menschen, die keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben und in einem Pflegeheim leben, werden im Übrigen ebenfalls nicht berücksichtigt, auch wenn sich ihr Bedarf z.B. aus der Demenz ergibt. Und Angehörige von Menschen in der außerklinischen Intensivpflege bzw. Beatmungspflege nach § 37c SGB V haben keinen Anspruch auf Krankengeld bei Mitaufnahme ins Krankenhaus, obwohl sie z.B. bei der Beatmungspflege besonders auf personenbezogene Assistenz angewiesen sind.

Landtagswahl-Spezial, Klappe die 2.

Am 10. März luden wir schließlich zu unserem zweiten Online-Gespräch mit Landtagskandidaten und -kandidatinnen für den Rhein-Neckar Kreis. Zu Gast waren Hermino Katzenstein (MdL) für die Grünen im Wahlkreis Sinsheim, Sebastian Cuny für die SPD im Wahlkreis Weinheim, Anja Boto Rodriguez für die CDU im Wahlkreis Heidelberg, und Zara Kiziltas in Vertretung für die Landesvorsitzende Sahra Mirow für die Linke im Wahlkreis Heidelberg. In der Vorstellungsrunde machten die Anwesenden deutlich, dass Menschen mit Behinderung fester Bestandteil der Gesellschaft sein und dieselben Chancen haben müssen. Für Anja Boto ist es bezüglich der Inklusion zweitrangig, für welche Partei man stehe. Der Austausch am Abend mit uns Menschen mit Behinderung sei ein großes Stück Inklusion, da unsere Belange in der Öffentlichkeit gehört werden müssten. Ganz unserer Meinung, denn sonst entstehen auch keine strategischen Lösungsansätze und Verbesserungen. Zara Kiziltas betonte, wie wichtig für uns Menschen mit Behinderung Selbstbestimmung sei und die Tatsache, nicht über uns, sondern mit uns zu sprechen.

In Bezug darauf äußerte sich Hermino Katzenstein recht positiv in Bezug auf das Bundesteilhabegesetz, das den Paradigmenwechsel vom Betreuungsgedanken zur selbstbestimmten Teilhabe vollzogen habe. Natürlich sei man noch auf dem Weg und es gebe noch sehr viel zu tun, aber die Richtung stimme. Auch würden einige Gelder dafür in die Hand genommen. Weiter führte er aus, dass Politik zusammen mit Kostenträgern und Verbänden Baden-Württemberg ein Verfahren auf den Weg gebracht habe, dass die Bedarfe individuell feststelle. Ziel sei es, im ganzen Land gleichwertige Lebensverhältnisse für alle zu schaffen. Frau Kiziltas wies abschließend darauf hin, dass der Kostenvorbehalt* für arbeitende Menschen mit Behinderung, die Assistenz bekommen, nach wie vor eine sehr große Benachteiligung gegenüber allen anderen in der Gesellschaft darstellen.

*d.h. Menschen mit Behinderung müssen sich je nach Einkommen finanziell an den Assistenzkosten beteiligen.

Es ist schon viel passiert in Richtung Inklusion, aber es muss noch mehr passieren!

Wie schon in der ersten Gesprächsrunde sahen es auch in der zweiten Runde alle als ganz wichtig an, den barrierefreien Ausbau des ÖPNV sowie den digitalen Ausbau voranzutreiben, besonders für jene Menschen, die auf dem Land leben und nicht den Anschluss an die Städte verpassen wollen. Der barrierefreie ÖPNV ist zwar im Rhein-Neckar Kreis schon recht gut ausgebaut, es besteht aber noch Luft nach oben. Während bei den S-Bahnen schon nahezu vollständige Barrierefreiheit gewährleistet ist, geht bei den Bussen und Straßenbahnen noch ein bisschen mehr. Herr Katzenstein, seines Zeichens Verkehrsexperte, wollte schnellstmöglich herausfinden, welche Bushaltestellen in der Region noch umgebaut werden müssen. Umgehend schrieb er eine Anfrage an den Behindertenbeauftragten des Rhein-Neckar-Kreises, der recht zügig und ausführlich antwortete: das ist echter inklusiver Service!

Ein großes Problem sind auch vor allem die in Heidelberg vielfach nicht barrierefreien Facharztpraxen. Eine Änderung ist hier aufgrund der alten Bausubstanz oft nur schwer zu erreichen. Ein sinnvoller Lösungsansatz ist es, barrierefreie Ärztezentren aufzubauen, damit auch wieder mehr Wahlfreiheit entsteht. Das wird von uns als Individualhilfe auch sehr gewünscht. Alle Kandidaten und Kandidatinnen machten deutlich, dass Barrierefreiheit beim ÖPNV und bei Arztpraxen ganz wichtig sei und signalisierten, mit uns darüber gerne weiterhin Austausch bleiben zu wollen.

Barrierefreiheit von ÖPNV und Arztpraxen noch ausbaufähig

Dass die Poststellen vielfach nicht barrierefrei sind, stieß auf großes Unverständnis. Einige Kandidaten waren sich darüber gar nicht im Klaren und wollten für ihren Wahlkreis diesen Aspekt auf jeden Fall überprüfen sowie bei Bedarf für eine Änderung einstehen. Völlig unbegreiflich ist auch, dass manche Wahlräume und sogar Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung wie die noch nicht überall bekannte ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) nicht barrierefrei zugänglich sind.

In Zukunft müssten wir Barrierefreiheit bei ÖPNV, Zugang zu Ärzten und Wohnungsbau in Zukunft viel mehr mitdenken, formulierte es Daniel Al-Kayal bei unseren ersten Gespräch treffend. Ein weiterer Baustein, um unsere Gesellschaft dahin zu entwickeln, in der Unterschiede wie eine Behinderung nicht mehr wahrgenommen werden. So beschrieb es Sebastian Cuny, für den es selbstverständlich sein müsse, dass wir alle zusammen teilhaben.

Damit dies gelingt, ist natürlich auch der finanzielle Aspekt zu berücksichtigen. Wir verdeutlichten nochmals die wertvolle Arbeit der Assistenzkräfte, die jederzeit auch mal einspringen müssen, da nicht jeder Angestellte zu jedem Kunden geschickt werden kann. Es waren sich alle einig, dass diese Arbeit auch gerecht entlohnt werden muss. Dies gilt für den ganzen Pflegebereich genauso. Wenn sich dort die Bedingungen verbessern, profitieren natürlich auch wir als Individualhilfe davon.

Angemessene Entlohnung für Pflege- und Assistenzkräfte ein wichtiger Baustein

Abschließend ist festzuhalten, dass sich alle Gesprächsteilnehmer sehr interessiert und dankbar zeigen, durch uns einige Problemlagen kennengelernt zu haben. Einerseits sind Dinge wie die Finanzierung von Assistenz im Krankenhaus oft gar nicht bekannt. Auf der anderen Seite ist es für uns als Menschen mit Behinderung und Individualhilfe einen sehr gute Sache, mehr Kontakte in die kommunale Politik sowie die des Landes zu haben. Engagierte Fürsprecher in der oft so bürgerfern wirkenden politischen Ebene sind Gold wert. Herr Katzenstein, der Mitglied im Petitionsausschuss des Landtages ist, wies uns darauf hin, dass mit einer Petition ein Anliegen noch mehr Gewicht erhalte. Der Ausschuss habe so zumindest die Möglichkeit, in einer bestimmten Angelegenheit der Landesregierung einen Handlungsauftrag zu erteilen.

Übrigens: Wir gratulieren Hermino Katzenstein, Norbert Knopf, Sebastian Cuny und Jan Peter Röderer ganz herzlich zum Einzug in den Landtag und freuen uns, auch mit allen anderen GesprächsteilnehmerInnen in Kontakt zu bleiben.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Eine Landtagswahl ist enorm wichtig, da der Landtag nicht nur wichtige Entscheidungen direkt für unseren Alltag trifft-die Politiker bzw. Kandidaten sind für uns Bürger auch erreichbarer und  hören uns zu!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Es ist das Gebot der Stunde, dass sich die politische Ebene um alle! Bürger gleichermaßen kümmert und damit Inklusion vorlebt.

Landtagswahl Baden-Württemberg 2021 aus inklusiver Sicht

Wir vom Verein Individualhilfe für Schwerbehinderte e.V. hatten die Landtagskandidaten aus dem Rhein-Neckar-Kreis an zwei Abenden zu einem Online-Gespräch eingeladen. Dabei wollten wir über uns wichtige Themen mit den Politikern sprechen, ihre Haltung und Expertise dazu hören und sie nicht zuletzt für unsere Belange zu sensibilisieren. Wir sprachen über die Themenbereiche Politik/Teilhabe, Barrierefreie Teilhabe sowie Arbeit und Bildung. Bereits am 8.3.2021 hatten wir fünf spannende Persönlichkeiten zu Gast, die sehr interessiert und sehr sachlich auf unsere Fragen eingingen. Das waren die Kandidaten vom Wahlkreis Wiesloch Norbert Knopf für die Grünen und Andrea Schröder-Ritzrau von der SPD, die Kandidaten vom Wahlkreis Sinsheim Jan-Peter Röderer für die SPD und Marco La Licata für die Linke sowie vom Wahlkreis Heidelberg Daniel Al-Kayal wiederum für die SPD.

Alle Kandidaten in der ersten Runde haben durch ihre Familie oder ihre politische Arbeit schon einen Einblick in das Thema Behinderung und Pflege bekommen, Jan-Peter Röderer etwa durch seinen pflegebedürftigen Bruder, Norbert Knopf durch seinen beatmungspflichtigen Vater und Daniel Al-Kayal ebenfalls durch seinen brasilianischen Vater, der mit MS lebt und auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Marco La Licata hat einen Onkel, der nach einem Schlaganfall pflegebedürftig worden ist und seine Mutter arbeitet als Krankenschwester bei einer ambulanten Pflegedienst. Dadurch bekommt er einiges mit über die teils schwierigen Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung. Die einzige Frau im Bunde, Andrea Schröder-Ritzrau ist durch ihre Mitarbeit im technischen Ausschuss des Gemeinderates, der sich auch um Barrierefreiheit kümmert, ebenfalls mit dem Thema Behinderung und Inklusion in Berührung. Außerdem hatte sie früher als FSJlerin wertvolle Erfahrungen in der Behinderungsarbeit gesammelt.

Bundesteilhabegesetz im Fokus

Das komplizierte Thema Bundesteilhabegesetz (BTHG) und die Hoffnungen, die Menschen mit Behinderung darauf setzen-vor allem Bürokratieabbau-hatte zunächst etwas Erklärungsbedarf. Aus Sicht von Herrn Knopf ist das Teilhabegesetz nicht wirklich zielführend, da es bislang zu keinerlei Vereinfachung gekommen ist. Er habe den Eindruck, dass in Berlin nicht viel dafür gemacht werde, die alten Strukturen von verschiedenen Zuständigkeitsbereichen bei den Kostenträgern aufzubrechen. Jeder hat nur seinen Topf und seinen Bereich vor Augen, den er verantwortet. Die beteiligten Gesprächspartner kamen nach einer munteren Diskussion auf einen gemeinsamen Nenner: Zum einen brauchen wir „Kümmerer“, die sich mit komplizierten Sachverhalten auskennen und an den Schnittstellen sitzen, wie Frau Schröder-Ritzrau anmerkte, zum anderen wäre eine Vereinfachung des Systems für alle Gesprächsteilnehmer sehr wünschenswert. Marco La Licata schlug den Bogen zur aus seiner Sicht notwendigen Reform der Pflegeversicherung. Er möchte sich wie die anderen Kandidaten von SPD und Grüne auch für eine einheitliche Bürgerversicherung einsetzen, in die alle Bürger ohne Ausnahme einzahlen und nicht den Sonderweg der Privatversicherung gehen können.

Assistenz im Krankenhaus

Weiter ging es mit dem Thema Assistenz im Krankenhaus. Hier besteht schon seit Jahren folgendes Problem: Menschen mit Behinderung  die ihre Assistenz selbst anstellen, können diese auch ins Krankenhaus mitnehmen; sollten Sie allerdings Assistenzkräfte über einen Pflegedienst beziehen, ist dieser beim Krankenhaus raus und der Betroffene ohne Assistenz. Dass das Krankenhaus die Pflege sicherstellen soll/möchte, weil es dafür eine Pauschale bekommt, ist leider nicht realistisch, da es die personellen Ressourcen einfach nicht zulassen. Zudem kennt ein Assistent oder eine Assistentin seine/n Kunden/in viel besser und kann mit diesem individuellen Know-how deutlich gezielter unterstützen. Norbert Knopf, ausgewiesener Gesundheits-und Pflegeexperte, bei der AOK tätig und dort zuständig für die Krankenhausabrechnung, bestätigte, dass bezüglich Assistenz im Krankenhaus eine Gesetzesänderung unbedingt nötig sei.

Ansonsten verdeutlichten die Kandidaten von der SPD und der Linken nochmals, dass beim sozialen Wohnungsbau deutlicher Nachholbedarf herrsche. Gerade für pflegende Angehörige und Menschen mit Behinderung sei es unglaublich schwierig, rollstuhlgerechte und barrierefreie Wohnungen zu finden und dann auch bezahlen zu können. Norbert Knopf hielt dem entgegen, dass die von den Grünen geführte Landesregierung in den letzten Jahren das fünffache in den Wohnungsbau investiert und die Mittel für die Kommunen allgemein verdoppelt habe. Der Weg geht also zumindest in die richtige gewünschte Richtung, aber der Wohnungsbau muss insgesamt gemeinnütziger sprich sozialer sein.

Bessere Bezahlung von Assistenzkräften

Gegen Ende ging es um das uns so wichtige Thema einer ordentlichen Bezahlung für Pflege-und insbesondere Assistenzkräfte. Michaela Schadeck schilderte noch mal die ganz und gar nicht triviale Arbeit von Assistenten und Assistentinnen, die sich voll auf die Gegebenheiten und Eigenheiten der Kunden einlassen müssten und eine hohe Verantwortung tragen würden. Es sind zwar keine Pflege-Fachkräfte im eigentlichen Sinne, aber die absoluten Fachleute, die sich sehr genau mit dem einen individuellen Fall auskennen. Da wäre eine gute Bezahlung einfach nur gerecht. Daniel Al-Kayal regte an, die Gehälter etwa für Hilfskräfte wie Assistenten tariflich einzugruppieren, Marco La Licata von der Linken betonte, dass zunächst einmal der Mindestlohn als Basis angehoben werden müsse. Die Gesprächsteilnehmer brachten auch eine Pflegekammer und die Wiederaufnahme der Pflegeförderung ins Gespräch.

Inge Sanwald-Kluge, langjährige Geschäftsführerin der Individualhilfe, gab auch zu bedenken, dass man für Inklusion und gute, individuelle Pflege nicht umhin komme, etwas Geld in die Hand zu nehmen. Dies sei überdies gut investiert, denn ohne Arbeitsassistenz könnten etwa viele Menschen mit Behinderung, die heute einen guten Job haben und Steuern bezahlen, gar nicht arbeiten.

Zum Abschluss unserer Gesprächsrunde wollten wir noch mal wissen, was Inklusion für die Kandidaten ausmacht, da der Begriff ja oftmals nur in Bezug auf Schule kennen. Daniel Al-Kayal fasste es gut zusammen: er sieht Inklusion als Aufgabe des Gemeinwohls, dass alle Bürger mit all ihren Facetten umfasst und sie nicht behindert werden durch Barrieren wie nicht rollstuhlgerechte Bahnen, zu wenig zugängliche Arztpraxen und ein Übermaß an Bürokratie. Menschen mit Behinderung sind als selbstverständlicher gleichberechtigter Teil der Gesellschaft von Beginn an zu sehen.

Wir bedanken uns an dieser Stelle nochmals ausdrücklich, dass die Kandidaten sich kurz vor der Wahl unsere Belange Zeit genommen haben. Es wäre schön, in Kontakt zu bleiben und dass sich die Kandidaten an uns und unsere Belange erinnern, falls sie in den Landtag einziehen. Wir wünschen Norbert Knopf, Andrea Schröder-Ritzrau, Jan-Peter Röderer, Marco La Licata und Daniel Al-Kayal viel Erfolg!

Inklusion: Unwort des Jahres

Bevor das neue Jahr richtig losgeht, möchte ich noch einmal ein Schlaglicht auf das vergangene Jahr werfen. Schon ein paar Jahre ist uns Deutschen die Inklusion ein Begriff. Vergangenes Jahr scheint „Inklusion“ endgültig zum Lieblingsthema vieler Entscheidungsträger in Gesellschaft, Politik und Selbsthilfe geworden zu sein. Allerdings – es ist kaum zu glauben – manche Menschen wissen tatsächlich immer noch nicht, was Inklusion eigentlich bedeutet. Deshalb an dieser Stelle eine kurze Nachhilfe: Inklusion besteht dann, wenn alle! Menschen ganz selbstverständlich in die Gesellschaft mit eingeschlossen sind. Heißt im Klartext, dass die Gegebenheiten im Alltagsleben für die Bedürfnisse von behinderten Menschen geeignet sind und die Bürger ihre Mitmenschen mit Behinderung als normale Partner ansehen und sie ernst nehmen. Der Idealfall wäre, wenn die Umwelt und der Lebensraum so barrierefrei gestaltet sind, dass die Heterogenität der Menschen gar nicht mehr relevant ist.

Traurig also, wer davon noch nichts mitbekommen hat! Aber viel schlimmer sind die Leute, die ständig davon reden, aber nicht danach handeln. Das gilt vor allem für unsere Politiker, die sich oft inflationär solcher Schlagwörter bedienen. Den Begriff „Inklusion“ kann langsam kein Mensch mehr hören! Taten sind gefragt, was angesichts einiger Negativbeispiele durchaus anzuzweifeln ist:

cdu.jpg w=584Da wäre unter anderem Merkels Ansprache zum Tag der Menschen mit Behinderung, worin sie betont, dass wir eine Gesellschaft sein sollen, die Menschen mit Behinderung nicht behindert. Das gilt allerdings auch für den Staat und genau darin liegt oft das Problem. Gesetze, die beispielsweise verhindern, dass Menschen mit Assistenzbedarf etwas ansparen dürfen und im Falle einer Ehe den Partner maßgeblich zur Kostendeckung der Pflege heranziehen, bewirken das glatte Gegenteil. Den eher geringen Stellenwert der Inklusion für die Politik verdeutlicht die Tatsache, dass die Besetzung des Behindertenbeauftragten der neuen Regierung nur zweitrangig war. Bei den Koalitionsverhandlungen in Hessen haben es die Verhandlungspartner nicht einmal geschafft, einen Behindertenbeauftragten festzulegen, es wird lediglich als Option gesehen.

2-format4Die Diskrepanz zwischen „davon sprechen“ und „umsetzen“ wird auch am Beispiel des Fernbusses, Deutschlands neuem Bahn-Ersatzverkehrsmittel Nummer eins deutlich. Auf Betreiben des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) wurde in letzter Minute eine Klausel in das Personenbeförderungsgesetz übernommen, die eine barrierefreie Ausstattung aller ab 2016 neu zugelassenen Fernbusse und ab 2019 aller eingesetzten Fernbusse vorsieht. Bei den momentanen Regelungen gibt es freilich erhebliche Lücken, und sowohl Selbsthilfeverbände als auch Busanbieter bemängeln, dass der Gesetzgeber keine klaren Mindeststandards oder Richtlinien definiert. Auf der anderen Seite gibt es Lichtblicke: So hat der ADAC mit dem Postbus den ersten Vorstoß gewagt und setzt seit November 2013 auf der Strecke Hamburg – Berlin in einer Versuchsphase insgesamt sieben Fernbusse ein, die mit Rollstuhlsitzplätzen und einer Rollstuhlrampe im vorderen Einstiegsbereich ausgestattet sind. Sogar die Deutsche Bahn mischt mit: Sowohl bei den beiden Busbetreibern Haru und BEX innerhalb des BerlinLinienBus als auch beim IC Bus, bei denen sie beteiligt ist, werden bereits jetzt erste rollstuhlgerechte Fernbusse eingesetzt. Die fehlenden rollstuhlgerechten Toiletten kompensieren die beiden Linienbetreiber durch Halte an Raststätten mit rollstuhlgerechten Toiletten. Die Fahrer sind dazu angehalten, beim Ein- und Ausstieg sowie beim Aufsuchen der WCs behilflich zu sein. Wir sehen also, dass es geht und Inklusion in einigen Köpfen schon angekommen ist. Bus_02.jpgBis zu einer vollständig inklusiven Gesellschaft bleibt jedoch noch sehr viel zu tun. An vielen Stellen hakt es noch gewaltig, ABER! – da muss ich Kanzlerin ausnahmsweise mal recht geben – es hat sich schon Einiges getan und es gab im letzten Jahr viele positive Ansätze. Man denke nur an die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Baden-Württemberg. Der Behindertenbeauftragte hat die Basis – Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und Freunde sowie Selbsthilfevereine und -verbände – in vier Regionalkonferenzen (marcel-gibtgas berichtete) angehört, damit die Politik ihre Anregungen in zukünftige Entscheidungen mit einbeziehen kann. Selbsthilfeverbände in Deutschland haben bereits viel bewirkt, indem sie immer wieder öffentlich unermüdlich auf bestehende Mängel hinweisen und somit viel Druck auf die Politik ausüben. Klar können auch sie keine Wunder vollbringen und in vielen Bereichen gibt es noch Nachholbedarf, wenn ich nur an den öffentlichen Nahverkehr denke. Auch wenn wir mit Blick auf manch andere Länder auf hohem Niveau jammern. Inklusion_Logo_weiss_396x274Die wichtigste Aufgabe fürs neue Jahr besteht weiterhin darin, dass die Menschen ihre Barrieren im Kopf beseitigen, welche der Inklusion im Wege stehen. Die Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderung gehören ausgeräumt. Genauso die Befürchtungen, die viele Mitmenschen davon abhalten, sich auf ihre Mitmenschen mit Behinderung einzulassen.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Ärgere dich nicht so sehr, wenn über Inklusion lediglich gesprochen wird. Freue dich vielmehr über die Dinge, die schon inklusiv sind und setze dich mit deiner ganzen Persönlichkeit für mehr Inklusion ein!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Jeder kann etwas zur Inklusion beitragen; es spielt keine Rolle, wie groß dieser Beitrag ist, er bewirkt etwas!

Ämter-und Bürokratie-Episode Teil 2 – Die Ineffizienz des Bürokratiemonsters

Es ist schon länger her, dass ich über die schwerfälligen Mühlen der Bürokratie geschrieben habe. Daher scheint es längst überfällig, dass jetzt endlich der nächste Artikel darüber kommt. Ich habe mich entschlossen, eine Serie – die Ämter-und Bürokratie-Episode – daraus zu machen. Trotz allem Ärger über den fast schon normalen Wahnsinn der Bürokratie müssen wir – wie ich damals andeutete – uns immer wieder bewusst machen, dass wir in Deutschland auf einem recht hohen Niveau jammern.

Wie ich ja schon berichtete, habe ich mit etwas Mühe erreicht, dass mir das Sozialamt Kulturfahrten bezahlt und ich so problemlos in die Kirche komme, selbst wenn es Minusgrade hat.

IMG_0168Läuft alles normal, gibt es keine Probleme, aber wehe ich habe mal einen außerplanmäßigen Wunsch… Dann wird es kritisch, weil jederzeit und überall die Fallstricke des bösen und geheimnisvollen Bürokratiemonsters lauern. Entweder kann mein Taxiunternehmen zu der veränderten Uhrzeit nicht fahren oder ich muss erst einmal meinen Extrawunsch vom Sozialamt genehmigen lassen. So geschehen bei meiner längeren Fahrt zum Foreigner-Konzert. Ich wollte ganz unkompliziert ein paar Fahrten sparen und dafür eine lange Fahrt machen. Obwohl mein Taxiunternehmen nicht explizit nur für meine Kirchenfahrten beauftragt ist,  hat der nette Mann von der Rechnungsabteilung Bedenken: Für die lange Fahrt sei ich ja gar nicht versichert, aber insgeheim hat er ja nur Angst vor dem jederzeit und überall lauernden Bürokratiemonster.ch muss also beim Sozialamt anrufen und dem zuständigen Sachbearbeiter verklickern, was mein Plan ist. Der hört gar nicht lange zu und sagt gleich, ich solle es bitte schriftlich machen, das könne er nicht ohne seinen Chef entscheiden. Das ist wohl die gängige Kommunikation bei den Ämtern in Deutschland… Ich setze also kurz ein Schreiben auf und 5 Tage später habe ich die Genehmigung in der Tasche. Dem Bürokratiemonster bin ich somit gerade noch entwischt.

Bürokratiemonster_WebWenn es um Hilfsmittel geht, ist die Sache heikler. Zugegeben, ich bin was Hilfsmittel angeht inzwischen sehr gut ausgerüstet – inklusive Trinkhilfe und Telefonieren mit Bluetooth-Headset. Das i-Tüpfelchen wäre jetzt noch, wenn ich mit meiner Umfeldsteuerung ein spezielles Infrarottelefon ansteuern und damit selbständig Anrufe annehmen und starten könnte. Mit zwei verschiedenen Argumentationsansätzen bin ich bislang bei der Krankenkasse gescheitert, im Moment befindet sich mein Widerspruch in einem schwebenden Verfahren, in einer Warteschleife sozusagen. Auf  Nachfrage bekomme ich lediglich die Auskunft, dass ich nur abwarten und auch niemanden zum aktuellen Stand der Dinge befragen könne.

IMG_0646Wegen diesem Vorfall und noch anderen Hintergründen haben wir als Familie die Krankenkasse gewechselt. Aber deshalb ist natürlich noch nicht alles gut und das Bürokratiemonster leider weiter unbesiegt. Prinzipiell ist es mit dem Wechsel gar nicht so kompliziert, da die neue Kasse, die alte Kasse abfragt und die bestehenden Verordnungen einfach übernimmt. Aber wie befürchtet läuft es natürlich nicht reibungslos ab. Kurz vor dem offiziellen Wechsel häufen sich bei mir die Panikanrufe. Das Sanitätshaus, von dem ich meine Beatmungsgeräte habe, meldet sich. Die Beatmungsgeräte werden ja jetzt bald abgeholt, da sie Eigentum der BKK Bosch sind. Ich entgegne nur, dass sie das ja gerne tun könnten, wenn sie ein Menschenleben auf dem Gewissen haben wollen. Die Frau am anderen Ende der Leitung ist kurz überrascht, geht aber gleich wieder zur Tagesordnung über. Sie teilt mir mit, dass sie bei der neuen Kasse zwei neue Beatmungsgeräte beantragt hat. Ich finde es absolut überflüssig und schwachsinnig, wieso die neue Kasse nicht einfach die bestehenden Beatmungsgeräte übernimmt. Sie funktionieren doch einwandfrei und erfüllen ihren Sinn und Zweck. Auf weitere Diskussionen lasse ich mich überhaupt nicht ein und außerdem will ich auch nicht, dass es dem Bürokratiemonster langweilig wird.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Lasse dich nicht vom Bürokratiemonster ärgern, sondern ziehe einfach dein Ding durch!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Vorsicht, bitte nicht komplett vom Bürokratiemonster vereinnahmen lassen!

Behindertenrechtskonvention ganz demokratisch!

Die meisten von Euch haben sicher schon von der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) gehört, die 2009 verabschiedet wurde und die von zahlreichen Ländern unterzeichnet worden ist. Sie enthält grundlegende Bestimmungen, um für Menschen mit Behinderung eine inklusive Alltagsumgebung herzustellen. Das heißt, die staatlichen Institutionen und die Gesellschaft eines Landes schaffen Bedingungen, die sich auf ihre behinderten Mitmenschen einstellen und ihnen ein gleichberechtigtes Leben ermöglichen. Dafür formuliert zur Zeit jede Stadt, jede Kommune, jedes Bundesland und schließlich die Bundesregierung einen Aktionsplan und will diesen umsetzen. Das hört sich jetzt alles ziemlich theoretisch an, ist es aber nicht, wie ich bei der Regionalkonferenz in Mannheim erlebe. Bei der Veranstaltung haben Betroffene, Angehörige, Vertreter von Selbsthilfevereinen, Behindertenwerkstätten und Schulen die Möglichkeit, sich zu den bisher ausgearbeiteten Leitlinien des Landesbehindertenbeirats zu äußeren.

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Das ist für mich echte Demokratie, jeder hat die Chance, mitzureden und seine Erfahrungen einzubringen! Wenn man sich die große Vielfalt unterschiedlicher Behinderungen und Bedürfnisse vor Augen führt, was mir hier in Mannheim so richtig bewusst wird, ist das besonders wichtig. Und Politiker brauchen diese Außensicht ihrer mitten im Alltagsleben stehenden behinderten Mitmenschen, um gute Gesetze zu verabschieden, die möglichst vielen von ihnen gerecht werden. Mir gefällt das wirklich, mitgestalten statt mitjammern mit allen anderen Politikverdrossenen! Zur Konferenz hatte der Landesbehindertenbeauftragte aufgerufen, der die Interessen der Menschen mit Behinderung im jeweiligen Bundesland vertritt. Ich bin im Vorfeld etwas skeptisch, denn solche Bürgervertreter versprechen in schönen Reden oft sehr viel und können kaum etwas davon umsetzen. Letztes Jahr habe ich eher negative Erfahrungen mit dem Behindertenbeauftragten gemacht, als ich bei einem sehr wichtigen Anliegen mit drei Sätzen abgespeist wurde. Natürlich vertritt er eine ganze Menge Menschen und kann sich nicht um alles kümmern, was mich etwas milder stimmt. In seiner Eröffnungsrede gefällt er mir sehr gut: kompakt, prägnant und mit Nachdruck!

Der engagierte dicke Mann

In drei Arbeitsgruppen unterteilt – „Erziehung und Bildung“, „Wohnen und Wohnumfeld, Kultur, Freizeit, Vereine, Tourismus“ und „Gesundheit und Arbeit“ finden sich die Teilnehmer zusammen und diskutieren. Ich bin letzterer Gruppe zugeteilt. Die Diskussion läuft gut und ich habe das Gefühl, dass einige sehr engagierte Anwesende richtig gut vorbereitet sind. Vor allem einige Eltern von Menschen mit geistiger Behinderung, setzen sich nachdrücklich für ihre Kinder ein. Ich merke schnell, dass einige Aspekte durchaus emotional aufgeladen sind. Die meisten Anwesenden legen großen Wert darauf, endgültig mit allen Facetten der Diskriminierung aufzuräumen! Engagement ist sehr notwendig, aber alles hat seine Grenzen, finde ich. Manche nehmen sich schon verdammt wichtig und nehmen sehr viel Diskussionsraum ein. Ein dicker Mann, der sich als Angstpatient vorstellt und an einer Esssucht leidet, schießt den Vogel ab. Ständig gibt er einen Zwischenkommentar ab und ergreift bei jeder passenden Gelegenheit das Wort, um seinen Unmut zu äußern. Er wirft mit Ausdrücken wie „Das kann es echt nicht sein“ und „Das ist unter aller Kanone!“ um sich. Ist ja gut, denke ich irgendwann, finde es aber auch schon wieder amüsant 🙂

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Inklusion in der Praxis will gelernt sein!

Dass auch manche Teilnehmer auf einem Seminar, bei dem Inklusion im Mittelpunkt steht, im Umgang mit E-Rollstuhlfahrern noch dazulernen müssen, merke ich in der Mittagspause. Ich sitze mit meinem Helfer an einem Tisch, gegenüber zwei Herren. Der eine spricht meinen Helfer an und fragt, wieso ich ständig beatmet werden muss und möchte wissen, ob es heute sehr anstrengend für mich ist. Ich bin etwas verwundert und frage mich, wieso er mich nicht selber anspricht. Ein Anfängerfehler und das bei dieser Veranstaltung… Ich sage gerade heraus, dass er schon viel zur Inklusion beitragen würde, wenn er mich einfach selber anspricht. Die anderen Männer grinsen und immerhin befreit sich der Angesprochene umgehend aus seiner Zwangslage. Es entwickelt sich ein angenehmes Gespräch und die drei Herren interessieren sich sehr für meine Tätigkeit. So bekomme ich drei Zeitschriften, in denen ich publiziert habe, an den Mann. Hoffentlich habe ich bleibenden Eindruck hinterlassen.

Emotionen pur

Dann geht es auch schon weiter, jetzt geht es um das Thema Arbeit und die Diskussion gewinnt an Fahrt. Es ist ein hoch emotionales Thema und die meisten finden es absolut nicht in Ordnung, von einem zweiten, nachrangigem Arbeitsmarkt zu sprechen. Dies vermittelt ihnen den Eindruck, Menschen mit Behinderung würden minderwertigere und unprofitable Arbeit abliefern.Die Erfahrungen bezüglich der Unterstützung der Arbeitsagentur sind durchweg negativ und alle Anwesenden wünschen sich als Alternative unabhängige Beratungsstellen. Naja, es gibt eine Ausnahme, ein Reha-Berater, der die Welt nicht mehr versteht. Er finde die Beschwerden haltlos und steht dem Wahrheitsgehalt der Äußerungen in Frage. Die Reha-Berater würden eine super Arbeit machen und könnten auch nichts dafür, wenn die Unternehmen keine Menschen mit Behinderung einstellen würden.

IMG_0191Nachdem ich mich bis zu diesem Zeitpunkt noch einigermaßen im Griff habe, platzt es jetzt aus mir heraus. Ich berichte, dass man der Wahrheit ja wohl ins Auge sehen müsse und ich noch nie ein vernünftiges Job-Angebot vom Jobcebter vermittelt bekommen habe. Das tut gut, ich musste meinem Ärger einfach Luft machen. Danach beruhigt sich die Diskussion etwas, bis die Moderatorin uns mitteilt, dass wir die letzten beiden Punkte auf der Agenda nicht mehr schaffen. Sie provoziert damit den letzten Auftritt unseres Angstpatienten. Er beschwert sich, dass dies ja wohl überhaupt nicht gehe! Zum Glück kann er sich wieder beruhigen, da er eine E-Mail Adresse mitgeteilt bekommt, an die er alle seine offenen Fragen richten kann. Gut, dass ich nicht der Empfänger bin.

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Engagement ist gut, übertriebene Polemik weniger!

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Die Teilnahme an einer Diskussion mit behinderten Menschen gewährleistet nicht automatisch inklusives Verhalten.

Der ultimative Ämterwahnsinn

Uns Rollstuhlfahrer und anderen Behinderten geht es in Deutschland sehr gut. Wir haben mehr Rechte als wir glauben und bekommen je nach Krankheitsbild und Bedarf eine „Rund um die Uhr“-Versorgung bezahlt. Alles schön und gut, wäre da nur nicht das böse Monster namens Bürokratie in Form der deutschen Ämter. Ein Umzug in einen anderen Zuständigkeitsbereich kann da echt zum Fluch werden: Zunächst einmal muss der Umzug für Hartz 4-Empfänger wie mich vom Jobcenter genehmigt werden. Als E-Rollstuhlfahrer, der mit einer 24 Stunden Alltagsassistenz bekommt, steht einem eine umfangreichere Wohnungsgröße zu. Das weiß ich und ich bin ziemlich verwundert, als die Frau vom Jobcenter unverblümt wissen will, wozu ich eigentlich umziehen will. So nach dem Motto, was fällt dem eigentlich ein, umzuziehen! Aber es gibt ja triftige Gründe, ich lasse mich nicht abwimmeln und bleibe ganz freundlich.

Später analysiere ich mit meinen Freunden die Situation: Im Prinzip geht es dem Amt nur darum, eine Geldleistung zu verhindern oder möglichst lange hinauszuzögern. Wir geben die Parole aus, dass ich den Vorfall abhake und das Amt kontinuierlich nerve, wie weit mein Antrag denn sei. Die Genehmigung lässt zum Glück nicht lange auf sich warten und die Bestätigung durch das neue Jobcenter läuft reibungslos. Tja, Wunder gibt es bekanntlich immer wieder! Aber die Freude währt nicht allzu lange, denn es gibt ja auch noch das Sozialamt, welches einen Teil der Pflegeleistungen und die Alltagsbegleitung bezahlt. Auch hier steht ein Ämterwechsel bevor, wobei die Sozialämter ihren Sitz in der gleichen Stadt haben. Gefühlt sind sie aber ein paar 100 Kilometer voneinander entfernt. Eigentlich müssten die Sachbearbeiter ja nur kurz miteinander reden und eine saubere Aktenübergabe machen. Aber das wäre ja zugegebenermaßen viiieeel zu einfach…

Der Traum, ohne einen Formularkrieg auskommen zu können, ist schnell ausgeträumt. Der Beginn der Antragsprozedur ist noch erträglich, aber irgendwann verkommt die ganze Geschichte zu einer einzigen Farce. Es fehlt immer nochmals ein Formular oder ein Nachweis, so sinnlos er auch ist. Trotz beigefügtem Hartz 4-Bescheid soll ich auch noch ein „Gesamtengagement“, welches ich bei meiner Bank habe, vorlegen. Dafür habe ich absolut kein Verständnis mehr. Als ob ich über Nacht Millionär geworden wäre. Dieses Vorgehen ist eine einzigartige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und hochgradige Geldverschwendung! Hier kann endgültig davon gesprochen werden, dass sich unsere Verwaltungen in den Städten oft nur mit sich selbst beschäftigen. Und das für eine Leistung, ohne die ich nicht leben kann und die absolut verständlich sein muss. Außerdem übernimmt die Krankenkasse einen Großteil der Kosten. Es gibt jedoch auch nach drei Monaten noch keine Zusage, was einem die Sprache verschlägt und ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Aber wer jetzt glaubt, das ist das Ende der Fahnenstange, wird in den nächsten Zeilen eines Besseren belehrt. Als Rollstuhlfahrer ohne Erwerbseinkommen stehen mir so genannte Kulturfahrten zu, damit meine Teilhabe am öffentlichen und kulturellen Leben gewährleistest bleibt. Solange ich in meinem alten Appartement wohne, geht die ganze Sache noch recht erträglich über die Bühne. Zunächst gibt der zuständige und langjährige Vertragspartner des Sozialamts, das Deutsche Rote Kreuz, zu bedenken, dass ich nur bis um 18 Uhr fahren kann und sonntags ja eigentlich nur die Essensausgabe auf dem Pogramm steht. Ein schlechter Witz, seit wann finden nach 18 Uhr oder sonntags keine Kulturveranstaltungen mehr statt? Nicht mal meine Fahrten zur Kirche könnte ich so abdecken. Zu meiner Überraschung einigt sich das Sozialamt mit dem DRK auf eine Ausnahmeregelung und ich kann meine Kirchenfahrten machen.

Dumm nur, dass 3 Kilometer weiter alles zur Makulatur wird. Die Akte Kulturfahrten wird neu aufgemacht mit dem ernüchternden Ergebnis, dass der zuständige DRK-Kreisverband meines neuen Wohnorts zu den gewünschten Zeiten auf keinen Fall fahren kann. Echt der Hammer, da sind die Fahrten genehmigt und ich kann sie nicht nutzen und das jetzt schon einige Wochen. Die zuständige Dame vom Sozialamt ist sehr bemüht und meint, dass die Fahrten auch vom alten Fahrdienst übernommen werden können. Sie verspricht, es abzuklären. Als ich nach einer Woche nachhake, wie der Stand der Dinge ist, erfahre ich zunächst, dass ich jetzt einen anderen Ansprechpartner für diese Sache habe. Ich könnte kotzen: Das ist typisch Sozialamt, aus Prinzip wechseln hier die Zuständigkeiten wahnsinnig häufig, damit „zwischen Sachbearbeiter und Hilfsbedürftigen die Objektivität gewahrt bleibt und keine persönlichen Bindungen entstehen.“ So steht es in den Statuten, wirklich schön formuliert. Leittragender ist der hilfsbedürftige Bürger, da er immer wieder von vorne anfangen muss. Aber es gehört wohl zur beschriebenen Verzögerungstaktik dazu.

Vom neuen Sachbearbeiter werde ich ganz schnell abgefertigt: Der alte Fahrdienst habe keine Kapazität, er habe keine andere Lösung und ich solle selber nach einem geeigneten Fahrdienst suchen. Ach ja, und mehr kosten als beim DRK darf es natürlich auch nicht! Ich komme mir vor wie ein Idiot, denn für diese Antwort musste ich ein paar Anträge stellen und einige Wochen Geduld aufbringen. Als ich höre, wieviel das Sozialamt auf den Kilometer zahlt, fällt mir gar nichts mehr ein: 1 Euro pro Kilometer und 2 Euro Anfahrtspauschale. Total an der Realität vorbei, denn schon mit dem normalen Taxi bezahlt man von meinem Wohnort zur Kirche 18 Euro und das Amt würde lediglich 12 Euro übernehmen. Bei einem Rollstuhltransport ist der Preis natürlich ungleich höher. Es gibt Fahrdienste, die ehrenamtliche Mitarbeiter und Jugendliche mit Freiwilligem Sozialen Jahr einsetzen und dadurch die Kosten begrenzt halten können. Diese kämpfen aber ums Überleben und auf Anfrage bekomme ich entweder die Antwort, dass ich nicht zu ihrem Zuständigkeitsbereich gehöre oder dass sie nicht genügend Kapazitäten frei haben. Zwei andere Fahrdienste würden es eventuell machen, aber zu einem Wahnsinnspreis. Ich finde auch noch ein Taxiunternehmen, das alle Bedingungen erfüllt und im Vergleich recht preisgünstig ist. Dies hieße im Klartext 80 Euro für Hin- und Rückfahrt und zeigt, wie weit das Sozialamt von der Realität entfernt ist. Als letzte Möglichkeit besteht jetzt nur noch, dass ich schriftlich die Situation darstelle und auf eine schnelle Lösung dränge. Denn am Telefon werde ich lediglich mit der Aussage abgespeist, dass das Sozialamt laut Gesetz nicht mehr bezahlen könne. Also ist der Ausgang dieses Bürokratiedramas äußerst ungewiss!

Meine persönliche E-rkenntnis des Tages: Die deutsche Bürokratie ist ein mehrköpfiges Monster.

Die E-Gebrauchsregel des Tages: Die Sachbearbeiter in unseren Ämtern brauchen mehr Fingerspitzengefühl und Realitätsbezug.